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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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Nessus wollte diese Gelegenheit nutzen, um
die Vermählte des Herkules zu entführen; als
diese aber um Hülfe schrie, spannte Herkules schnell
den Bogen, und durchschoß den Centaur mit
einem in das Blut der Lernäischen Schlange ge-
tauchten Pfeil. Nessus gab sterbend der Dejanira
eine Hand voll von seinem Blute, als ein kostba-
res Geschenk, in eine Flasche, und verhieß ihr,
daß sie durch dies Mittel auf immer des Herkules
Zuneigung sich versichern, und jede fremde Liebe
aus seiner Brust verscheuchen könne, wenn sie der-
einst ein dicht am Leibe anliegendes Gewand mit
diesem Blute bestriche, und es dem Herkules,
um es anzulegen, schickte.

Herkules, der nun wieder auf Thaten aus-
gieng, entfernte sich von Zeit zu Zeit von der
Dejanira. Einst blieb er lange, ohne daß Deja-
nira etwas von ihm vernahm. Ihn fesselte eine
neue Liebe, die ihn mehr als alle seine überstan-
denen Gefahren darniederbeugte, weil sie ihn zu
einer ungerechten That verleitete.

Als Herkules nehmlich auf einem seiner letz-
ten Züge nach Euboä kam, erblickte er Jolen,
die Tochter des Eurytus, der über Oechalien
herrschte. Er ward von Jolens Reitzen schnell
besiegt, und warb um sie bei ihrem Vater. --
Als dieser sein Verlangen abschlug, verließ er
zürnend und auf Rache denkend die Wohnung sei-
nes Gastfreundes.

Neſſus wollte dieſe Gelegenheit nutzen, um
die Vermaͤhlte des Herkules zu entfuͤhren; als
dieſe aber um Huͤlfe ſchrie, ſpannte Herkules ſchnell
den Bogen, und durchſchoß den Centaur mit
einem in das Blut der Lernaͤiſchen Schlange ge-
tauchten Pfeil. Neſſus gab ſterbend der Dejanira
eine Hand voll von ſeinem Blute, als ein koſtba-
res Geſchenk, in eine Flaſche, und verhieß ihr,
daß ſie durch dies Mittel auf immer des Herkules
Zuneigung ſich verſichern, und jede fremde Liebe
aus ſeiner Bruſt verſcheuchen koͤnne, wenn ſie der-
einſt ein dicht am Leibe anliegendes Gewand mit
dieſem Blute beſtriche, und es dem Herkules,
um es anzulegen, ſchickte.

Herkules, der nun wieder auf Thaten aus-
gieng, entfernte ſich von Zeit zu Zeit von der
Dejanira. Einſt blieb er lange, ohne daß Deja-
nira etwas von ihm vernahm. Ihn feſſelte eine
neue Liebe, die ihn mehr als alle ſeine uͤberſtan-
denen Gefahren darniederbeugte, weil ſie ihn zu
einer ungerechten That verleitete.

Als Herkules nehmlich auf einem ſeiner letz-
ten Zuͤge nach Euboaͤ kam, erblickte er Jolen,
die Tochter des Eurytus, der uͤber Oechalien
herrſchte. Er ward von Jolens Reitzen ſchnell
beſiegt, und warb um ſie bei ihrem Vater. —
Als dieſer ſein Verlangen abſchlug, verließ er
zuͤrnend und auf Rache denkend die Wohnung ſei-
nes Gaſtfreundes.

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[249/0299] Neſſus wollte dieſe Gelegenheit nutzen, um die Vermaͤhlte des Herkules zu entfuͤhren; als dieſe aber um Huͤlfe ſchrie, ſpannte Herkules ſchnell den Bogen, und durchſchoß den Centaur mit einem in das Blut der Lernaͤiſchen Schlange ge- tauchten Pfeil. Neſſus gab ſterbend der Dejanira eine Hand voll von ſeinem Blute, als ein koſtba- res Geſchenk, in eine Flaſche, und verhieß ihr, daß ſie durch dies Mittel auf immer des Herkules Zuneigung ſich verſichern, und jede fremde Liebe aus ſeiner Bruſt verſcheuchen koͤnne, wenn ſie der- einſt ein dicht am Leibe anliegendes Gewand mit dieſem Blute beſtriche, und es dem Herkules, um es anzulegen, ſchickte. Herkules, der nun wieder auf Thaten aus- gieng, entfernte ſich von Zeit zu Zeit von der Dejanira. Einſt blieb er lange, ohne daß Deja- nira etwas von ihm vernahm. Ihn feſſelte eine neue Liebe, die ihn mehr als alle ſeine uͤberſtan- denen Gefahren darniederbeugte, weil ſie ihn zu einer ungerechten That verleitete. Als Herkules nehmlich auf einem ſeiner letz- ten Zuͤge nach Euboaͤ kam, erblickte er Jolen, die Tochter des Eurytus, der uͤber Oechalien herrſchte. Er ward von Jolens Reitzen ſchnell beſiegt, und warb um ſie bei ihrem Vater. — Als dieſer ſein Verlangen abſchlug, verließ er zuͤrnend und auf Rache denkend die Wohnung ſei- nes Gaſtfreundes.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/299>, abgerufen am 24.11.2024.