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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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Und nun nahete die Zeit heran, wo die Un-
geheuer, welche die Nacht oder das ungestüme
Element aus seinem Schooße gebohren hatte, von
den aufkeimenden Helden besiegt, und der Erd-
kreis von seinen Plagen befreiet werden sollte.

Die erste und kühnste That, welche Perseus,
sobald er die angestammte Götterkraft in sich fühl-
te, unternahm, war, das Verderben bringende,
versteinernde Haupt der Medusa von ihrem Kör-
per zu trennen, und dieser Schreckengestalt sich
selber zu bemächtigen.

Mit dem unsichtbarmachenden Helm des
Orkus; den Flügeln des Merkur; und dem Schil-
de der Minerva, von den Göttern selber ausgerü-
stet, unternahm er die kühne That mit wegge-
wandtem Blick, indem er das Bild der schlum-
mernden Medusa erst in dem Spiegel seines
Schildes sahe, und Minerva unsichtbar den Arm
ihm lenkte, damit er nicht seines Ziels verfehlte.

Als nun Perseus den tödlichen Hieb vollführt
hatte, so seufzten und ächzten Stheno und Eury-
ane, die beiden unsterblichen Schwestern der
Medusa, so laut über diesen Anblick, und das
Zischen der Schlangen auf ihren Häuptern tönte
so kläglich in ihr Aechzen, daß Minerva, dadurch
gerührt, eine Flöte erfand, wodurch sie die Vor-
stellung dieser traurigen Töne, durch verschiedene
Arten des Schalls sie nachahmend, wieder

Und nun nahete die Zeit heran, wo die Un-
geheuer, welche die Nacht oder das ungeſtuͤme
Element aus ſeinem Schooße gebohren hatte, von
den aufkeimenden Helden beſiegt, und der Erd-
kreis von ſeinen Plagen befreiet werden ſollte.

Die erſte und kuͤhnſte That, welche Perſeus,
ſobald er die angeſtammte Goͤtterkraft in ſich fuͤhl-
te, unternahm, war, das Verderben bringende,
verſteinernde Haupt der Meduſa von ihrem Koͤr-
per zu trennen, und dieſer Schreckengeſtalt ſich
ſelber zu bemaͤchtigen.

Mit dem unſichtbarmachenden Helm des
Orkus; den Fluͤgeln des Merkur; und dem Schil-
de der Minerva, von den Goͤttern ſelber ausgeruͤ-
ſtet, unternahm er die kuͤhne That mit wegge-
wandtem Blick, indem er das Bild der ſchlum-
mernden Meduſa erſt in dem Spiegel ſeines
Schildes ſahe, und Minerva unſichtbar den Arm
ihm lenkte, damit er nicht ſeines Ziels verfehlte.

Als nun Perſeus den toͤdlichen Hieb vollfuͤhrt
hatte, ſo ſeufzten und aͤchzten Stheno und Eury-
ane, die beiden unſterblichen Schweſtern der
Meduſa, ſo laut uͤber dieſen Anblick, und das
Ziſchen der Schlangen auf ihren Haͤuptern toͤnte
ſo klaͤglich in ihr Aechzen, daß Minerva, dadurch
geruͤhrt, eine Floͤte erfand, wodurch ſie die Vor-
ſtellung dieſer traurigen Toͤne, durch verſchiedene
Arten des Schalls ſie nachahmend, wieder

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[206/0254] Und nun nahete die Zeit heran, wo die Un- geheuer, welche die Nacht oder das ungeſtuͤme Element aus ſeinem Schooße gebohren hatte, von den aufkeimenden Helden beſiegt, und der Erd- kreis von ſeinen Plagen befreiet werden ſollte. Die erſte und kuͤhnſte That, welche Perſeus, ſobald er die angeſtammte Goͤtterkraft in ſich fuͤhl- te, unternahm, war, das Verderben bringende, verſteinernde Haupt der Meduſa von ihrem Koͤr- per zu trennen, und dieſer Schreckengeſtalt ſich ſelber zu bemaͤchtigen. Mit dem unſichtbarmachenden Helm des Orkus; den Fluͤgeln des Merkur; und dem Schil- de der Minerva, von den Goͤttern ſelber ausgeruͤ- ſtet, unternahm er die kuͤhne That mit wegge- wandtem Blick, indem er das Bild der ſchlum- mernden Meduſa erſt in dem Spiegel ſeines Schildes ſahe, und Minerva unſichtbar den Arm ihm lenkte, damit er nicht ſeines Ziels verfehlte. Als nun Perſeus den toͤdlichen Hieb vollfuͤhrt hatte, ſo ſeufzten und aͤchzten Stheno und Eury- ane, die beiden unſterblichen Schweſtern der Meduſa, ſo laut uͤber dieſen Anblick, und das Ziſchen der Schlangen auf ihren Haͤuptern toͤnte ſo klaͤglich in ihr Aechzen, daß Minerva, dadurch geruͤhrt, eine Floͤte erfand, wodurch ſie die Vor- ſtellung dieſer traurigen Toͤne, durch verſchiedene Arten des Schalls ſie nachahmend, wieder

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/254>, abgerufen am 28.11.2024.