Alten, was aus dem mannichfaltigen Bildungs- triebe der Natur hervorging, und, wenn gleich durch sich selber schadend, dennoch den Stoff des Schönen und Nützlichen in sich enthielt.
Die Phantasie setzt ihren Göttergestalten kei- ne Schranken, -- sie läßt bei jeglicher den herr- schenden inwohnenden Trieb in seinem weitesten Umfange spielen, und führt ihn gern bis auf den Punkt des Schädlichen hin; eben weil in diesen Dichtungen die großen Massen von Licht und Schatten, und die furchtbaren Gegensätze in der Natur sich zusammendrängen, die sonst das Auge nur zerstreut und einzeln wahrnimmt; und weil gewissermaßen jede Göttergestalt, das We- sen der Dinge selbst, aus irgend einem erhabe- nen Gesichtspunkt betrachtet, in sich zusammen- faßt.
In dieser Rücksicht ist die Dichtung vom Mer- kur eine der schönsten und vielumfassendsten. -- Er ist der behende Götterbote -- der Gott der Rede -- der Gott der Wege -- in ihm ver- jüngt sich das schnelle geflügelte Wort, und wiederholt sich auf seinen Lippen, wenn er die Befehle der Götter überbringt. --
Darum ist auch sein erhabenstes Urbild die Rede selber, welche als der zarteste Hauch der Luft sich in den mächtigen Zusammenhang der Dinge gleichsam stehlen muß, um durch den Ge-
Alten, was aus dem mannichfaltigen Bildungs- triebe der Natur hervorging, und, wenn gleich durch ſich ſelber ſchadend, dennoch den Stoff des Schoͤnen und Nuͤtzlichen in ſich enthielt.
Die Phantaſie ſetzt ihren Goͤttergeſtalten kei- ne Schranken, — ſie laͤßt bei jeglicher den herr- ſchenden inwohnenden Trieb in ſeinem weiteſten Umfange ſpielen, und fuͤhrt ihn gern bis auf den Punkt des Schaͤdlichen hin; eben weil in dieſen Dichtungen die großen Maſſen von Licht und Schatten, und die furchtbaren Gegenſaͤtze in der Natur ſich zuſammendraͤngen, die ſonſt das Auge nur zerſtreut und einzeln wahrnimmt; und weil gewiſſermaßen jede Goͤttergeſtalt, das We- ſen der Dinge ſelbſt, aus irgend einem erhabe- nen Geſichtspunkt betrachtet, in ſich zuſammen- faßt.
In dieſer Ruͤckſicht iſt die Dichtung vom Mer- kur eine der ſchoͤnſten und vielumfaſſendſten. — Er iſt der behende Goͤtterbote — der Gott der Rede — der Gott der Wege — in ihm ver- juͤngt ſich das ſchnelle gefluͤgelte Wort, und wiederholt ſich auf ſeinen Lippen, wenn er die Befehle der Goͤtter uͤberbringt. —
Darum iſt auch ſein erhabenſtes Urbild die Rede ſelber, welche als der zarteſte Hauch der Luft ſich in den maͤchtigen Zuſammenhang der Dinge gleichſam ſtehlen muß, um durch den Ge-
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Alten, was aus dem mannichfaltigen Bildungs-
triebe der Natur hervorging, und, wenn gleich
durch ſich ſelber ſchadend, dennoch den Stoff des
Schoͤnen und Nuͤtzlichen in ſich enthielt.
Die Phantaſie ſetzt ihren Goͤttergeſtalten kei-
ne Schranken, — ſie laͤßt bei jeglicher den herr-
ſchenden inwohnenden Trieb in ſeinem weiteſten
Umfange ſpielen, und fuͤhrt ihn gern bis auf
den Punkt des Schaͤdlichen hin; eben weil in
dieſen Dichtungen die großen Maſſen von Licht
und Schatten, und die furchtbaren Gegenſaͤtze
in der Natur ſich zuſammendraͤngen, die ſonſt das
Auge nur zerſtreut und einzeln wahrnimmt; und
weil gewiſſermaßen jede Goͤttergeſtalt, das We-
ſen der Dinge ſelbſt, aus irgend einem erhabe-
nen Geſichtspunkt betrachtet, in ſich zuſammen-
faßt.
In dieſer Ruͤckſicht iſt die Dichtung vom Mer-
kur eine der ſchoͤnſten und vielumfaſſendſten. —
Er iſt der behende Goͤtterbote — der Gott der
Rede — der Gott der Wege — in ihm ver-
juͤngt ſich das ſchnelle gefluͤgelte Wort, und
wiederholt ſich auf ſeinen Lippen, wenn er die
Befehle der Goͤtter uͤberbringt. —
Darum iſt auch ſein erhabenſtes Urbild die
Rede ſelber, welche als der zarteſte Hauch der
Luft ſich in den maͤchtigen Zuſammenhang der
Dinge gleichſam ſtehlen muß, um durch den Ge-
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/200>, abgerufen am 22.11.2024.
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