Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.Der Gedanke, daß man ihn krank machen wollte, schien der herrschendste bei ihm zu seyn. Alle seine Gespräche, alle seine Anspielungen deuteten daraufhin. Er nahm auch daher nicht die mindeste Arzenei zu sich, aus Furcht, der Arzt und Apotheker könnten mit seinen Feinden in Bündniß getreten seyn. Seine Gemüthslage erlaubte uns nicht, ihn zum Gebrauche der Arzenei zu zwingen, erlaubte ihm von der andern Seite nicht, in den Gesellschaften, in die man ihn einführte, diejenige Zerstreuung zu finden, die ihn hätte aufheitern können, und die er gewiß gefunden haben würde, wenn er nicht stets in sich gekehrt gewesen wäre. Er ließ sich zwar auf Spatziergängen mitnehmen, aber genoß sie nicht; sah nichts, hörte nichts, als was seinem Kummer Nahrung verschafte -- und wo hätte er diesen nicht gefunden? An einem Frühlingsnachmittage, wo die Natur in ihrer ganzen jugendlichen Schönheit sich zeigte, wo das frische Laub schon groß genug war, um die schwarzen Aeste zu bedecken, aber noch zusammengezogen, jedem frohen Auge das Bild des emporstrebenden Geistes darbot -- an einem solchen Nachmittage nahmen wir E. mit nach dem Thiergarten. Die Gesellschaft war gemischt, und jeder bestrebte sich, so gut er konnte, ihn zu unterhalten. Vergebens! Einsylbige Wörter waren stets seine ganze Antwort. Nur Madam V., dieser geist- Der Gedanke, daß man ihn krank machen wollte, schien der herrschendste bei ihm zu seyn. Alle seine Gespraͤche, alle seine Anspielungen deuteten daraufhin. Er nahm auch daher nicht die mindeste Arzenei zu sich, aus Furcht, der Arzt und Apotheker koͤnnten mit seinen Feinden in Buͤndniß getreten seyn. Seine Gemuͤthslage erlaubte uns nicht, ihn zum Gebrauche der Arzenei zu zwingen, erlaubte ihm von der andern Seite nicht, in den Gesellschaften, in die man ihn einfuͤhrte, diejenige Zerstreuung zu finden, die ihn haͤtte aufheitern koͤnnen, und die er gewiß gefunden haben wuͤrde, wenn er nicht stets in sich gekehrt gewesen waͤre. Er ließ sich zwar auf Spatziergaͤngen mitnehmen, aber genoß sie nicht; sah nichts, hoͤrte nichts, als was seinem Kummer Nahrung verschafte — und wo haͤtte er diesen nicht gefunden? An einem Fruͤhlingsnachmittage, wo die Natur in ihrer ganzen jugendlichen Schoͤnheit sich zeigte, wo das frische Laub schon groß genug war, um die schwarzen Aeste zu bedecken, aber noch zusammengezogen, jedem frohen Auge das Bild des emporstrebenden Geistes darbot — an einem solchen Nachmittage nahmen wir E. mit nach dem Thiergarten. Die Gesellschaft war gemischt, und jeder bestrebte sich, so gut er konnte, ihn zu unterhalten. Vergebens! Einsylbige Woͤrter waren stets seine ganze Antwort. Nur Madam V., dieser geist- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0074" n="74"/><lb/> <p>Der Gedanke, daß man ihn krank machen wollte, schien der herrschendste bei ihm zu seyn. Alle seine Gespraͤche, alle seine Anspielungen deuteten daraufhin. Er nahm auch daher nicht die mindeste Arzenei zu sich, aus Furcht, der Arzt und Apotheker koͤnnten mit seinen Feinden in Buͤndniß getreten seyn. Seine Gemuͤthslage erlaubte uns nicht, ihn zum Gebrauche der Arzenei zu zwingen, erlaubte ihm von der andern Seite nicht, in den Gesellschaften, in die man ihn einfuͤhrte, diejenige Zerstreuung zu finden, die ihn haͤtte aufheitern koͤnnen, und die er gewiß gefunden haben wuͤrde, wenn er nicht stets in sich gekehrt gewesen waͤre. Er ließ sich zwar auf Spatziergaͤngen mitnehmen, aber genoß sie nicht; sah nichts, hoͤrte nichts, als was seinem Kummer Nahrung verschafte — und wo haͤtte er diesen nicht gefunden? </p> <p>An einem Fruͤhlingsnachmittage, wo die Natur in ihrer ganzen jugendlichen Schoͤnheit sich zeigte, wo das frische Laub schon groß genug war, um die schwarzen Aeste zu bedecken, aber noch zusammengezogen, jedem frohen Auge das Bild des emporstrebenden Geistes darbot — an einem solchen Nachmittage nahmen wir E. mit nach dem Thiergarten. Die Gesellschaft war gemischt, und jeder bestrebte sich, so gut er konnte, ihn zu unterhalten. Vergebens! Einsylbige Woͤrter waren stets seine ganze Antwort. Nur Madam V., dieser geist-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [74/0074]
Der Gedanke, daß man ihn krank machen wollte, schien der herrschendste bei ihm zu seyn. Alle seine Gespraͤche, alle seine Anspielungen deuteten daraufhin. Er nahm auch daher nicht die mindeste Arzenei zu sich, aus Furcht, der Arzt und Apotheker koͤnnten mit seinen Feinden in Buͤndniß getreten seyn. Seine Gemuͤthslage erlaubte uns nicht, ihn zum Gebrauche der Arzenei zu zwingen, erlaubte ihm von der andern Seite nicht, in den Gesellschaften, in die man ihn einfuͤhrte, diejenige Zerstreuung zu finden, die ihn haͤtte aufheitern koͤnnen, und die er gewiß gefunden haben wuͤrde, wenn er nicht stets in sich gekehrt gewesen waͤre. Er ließ sich zwar auf Spatziergaͤngen mitnehmen, aber genoß sie nicht; sah nichts, hoͤrte nichts, als was seinem Kummer Nahrung verschafte — und wo haͤtte er diesen nicht gefunden?
An einem Fruͤhlingsnachmittage, wo die Natur in ihrer ganzen jugendlichen Schoͤnheit sich zeigte, wo das frische Laub schon groß genug war, um die schwarzen Aeste zu bedecken, aber noch zusammengezogen, jedem frohen Auge das Bild des emporstrebenden Geistes darbot — an einem solchen Nachmittage nahmen wir E. mit nach dem Thiergarten. Die Gesellschaft war gemischt, und jeder bestrebte sich, so gut er konnte, ihn zu unterhalten. Vergebens! Einsylbige Woͤrter waren stets seine ganze Antwort. Nur Madam V., dieser geist-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |