Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.
Das Jnteresse der Vernunft zwingt uns zwar, schon im Anfange der Bearbeitung einer Wissenschaft, zu einem System, welches nicht bloß ein Erleichterungsmittel zur Erlernung, sondern auch (wenn das System in der Natur des zu behandelnden Gegenstandes gegründet ist) ein Erweiterungsmittel, als ein Leitfaden zur Erfindung in einer Wissenschaft ist. Doch muß man auch bereit seyn, dieses vor der Hand angenommne System, nach Erfordernissen zu verbessern, oder gar zu verändern, wenn man anders den gegründeten Vorwurf der Systemsucht vermeiden will.
Das Jnteresse der Vernunft zwingt uns zwar, schon im Anfange der Bearbeitung einer Wissenschaft, zu einem System, welches nicht bloß ein Erleichterungsmittel zur Erlernung, sondern auch (wenn das System in der Natur des zu behandelnden Gegenstandes gegruͤndet ist) ein Erweiterungsmittel, als ein Leitfaden zur Erfindung in einer Wissenschaft ist. Doch muß man auch bereit seyn, dieses vor der Hand angenommne System, nach Erfordernissen zu verbessern, oder gar zu veraͤndern, wenn man anders den gegruͤndeten Vorwurf der Systemsucht vermeiden will. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0002" n="2"/><lb/> die <hi rendition="#b">Form des Verstandes</hi> erhalten, und <hi rendition="#b">Erfahrungen</hi> werden. Dieses ist aber zu einer Wissenschaft noch nicht hinlaͤnglich; zu diesem Behuf muͤssen die Erfahrungen in <hi rendition="#b">ein System,</hi> d.h. ein <hi rendition="#b">nach Prinzipien geordnetes Ganze,</hi> gebracht werden; wodurch sie die <hi rendition="#b">Form der Vernunft</hi> erhalten, und wodurch die Erfahrungsseelenkunde erst den Namen einer <hi rendition="#b">Wissenschaft</hi> verdient. Je geringer die Anzahl der Prinzipien sind; je genauer die darinn gegruͤndete Wahrheiten, sowohl mit diesen Prinzipien <choice><corr>als unter</corr><sic>unter</sic></choice> einander verbunden sind, um desto mehr naͤhert sich die Erfahrungsseelenkunde der vollstaͤndigen Form einer Wissenschaft. Man sieht hieraus, daß man sich hier (wie auch in jeder andern Wissenschaft) mit einem Systeme nicht uͤbereilen muß. </p> <p>Das Jnteresse der Vernunft zwingt uns zwar, schon im Anfange der Bearbeitung einer Wissenschaft, zu einem System, welches nicht bloß ein <hi rendition="#b">Erleichterungsmittel</hi> zur <hi rendition="#b">Erlernung,</hi> sondern auch (wenn das System in der Natur des zu behandelnden Gegenstandes gegruͤndet ist) ein <hi rendition="#b">Erweiterungsmittel,</hi> als ein Leitfaden zur Erfindung in einer Wissenschaft ist. Doch muß man auch bereit seyn, dieses <hi rendition="#b">vor der Hand angenommne</hi> System, nach Erfordernissen zu verbessern, oder gar zu veraͤndern, wenn man anders den gegruͤndeten Vorwurf der <hi rendition="#b">Systemsucht</hi> vermeiden will. </p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2/0002]
die Form des Verstandes erhalten, und Erfahrungen werden. Dieses ist aber zu einer Wissenschaft noch nicht hinlaͤnglich; zu diesem Behuf muͤssen die Erfahrungen in ein System, d.h. ein nach Prinzipien geordnetes Ganze, gebracht werden; wodurch sie die Form der Vernunft erhalten, und wodurch die Erfahrungsseelenkunde erst den Namen einer Wissenschaft verdient. Je geringer die Anzahl der Prinzipien sind; je genauer die darinn gegruͤndete Wahrheiten, sowohl mit diesen Prinzipien als unter einander verbunden sind, um desto mehr naͤhert sich die Erfahrungsseelenkunde der vollstaͤndigen Form einer Wissenschaft. Man sieht hieraus, daß man sich hier (wie auch in jeder andern Wissenschaft) mit einem Systeme nicht uͤbereilen muß.
Das Jnteresse der Vernunft zwingt uns zwar, schon im Anfange der Bearbeitung einer Wissenschaft, zu einem System, welches nicht bloß ein Erleichterungsmittel zur Erlernung, sondern auch (wenn das System in der Natur des zu behandelnden Gegenstandes gegruͤndet ist) ein Erweiterungsmittel, als ein Leitfaden zur Erfindung in einer Wissenschaft ist. Doch muß man auch bereit seyn, dieses vor der Hand angenommne System, nach Erfordernissen zu verbessern, oder gar zu veraͤndern, wenn man anders den gegruͤndeten Vorwurf der Systemsucht vermeiden will.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/2>, abgerufen am 16.02.2025. |