Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.Der junge Herr des Hauses, in voller Blüthe und Vergnügung bei einer schönen, guten, klugen und herzhaften Frau, war doch etwas zu munter und galant, um nicht endlich an der schönen Jugend und Treuherzigkeit der Theanthis, die er anfangs nicht zu achten schien, zu viel Reitze oder Gefallen zu finden, wiewohl sie, was sie ihm aufzuwarten hatte, immer so gerad, kurz und still ehrerbietig fertig machte, als möglich; im letzten Jahre ihres Aufenthalts in dem Hause wurde er oft zudringlicher mit reizenden Reden und versuchten kleinen Karessen; davor hatte sie aber mehr fliehende Furcht und Abscheu als vor Widrigkeiten und Strengigkeiten, die sie in ihrer Eltern Hause schon gut ertragen, und zum Besten still nutzen gelernt hatte, denn sie ließ sich die Widrigkeiten und Nöthe gerade zu Gott treiben und zum Halten des Herzens an Jhm, dem sie alles Gute dankte. Die schlechtesten irrdischen Umstände ließen sie auch fast nichts auf Erden erwarten, und verderbliche Ausschweifungen, wo sie etwan solche sehen mußte, erweckten ihr desto mehr Eckel und Abscheu zum Zurückbeben. Zu bittre klare Früchte davon erschrecken schon. Jn letzterm gedachten Jahre fiel es dem jungen Hausherrn ein, oft frühe vor allen andern im Hause aufzustehen und sich Thee machen zu lassen bei seiner Schreiberei. Fand er nun die Köchin noch nicht in der Küche, so war er ganz sonderbar artig, nahm seine Violine, die er gut verstand, und spielte ein Der junge Herr des Hauses, in voller Bluͤthe und Vergnuͤgung bei einer schoͤnen, guten, klugen und herzhaften Frau, war doch etwas zu munter und galant, um nicht endlich an der schoͤnen Jugend und Treuherzigkeit der Theanthis, die er anfangs nicht zu achten schien, zu viel Reitze oder Gefallen zu finden, wiewohl sie, was sie ihm aufzuwarten hatte, immer so gerad, kurz und still ehrerbietig fertig machte, als moͤglich; im letzten Jahre ihres Aufenthalts in dem Hause wurde er oft zudringlicher mit reizenden Reden und versuchten kleinen Karessen; davor hatte sie aber mehr fliehende Furcht und Abscheu als vor Widrigkeiten und Strengigkeiten, die sie in ihrer Eltern Hause schon gut ertragen, und zum Besten still nutzen gelernt hatte, denn sie ließ sich die Widrigkeiten und Noͤthe gerade zu Gott treiben und zum Halten des Herzens an Jhm, dem sie alles Gute dankte. Die schlechtesten irrdischen Umstaͤnde ließen sie auch fast nichts auf Erden erwarten, und verderbliche Ausschweifungen, wo sie etwan solche sehen mußte, erweckten ihr desto mehr Eckel und Abscheu zum Zuruͤckbeben. Zu bittre klare Fruͤchte davon erschrecken schon. Jn letzterm gedachten Jahre fiel es dem jungen Hausherrn ein, oft fruͤhe vor allen andern im Hause aufzustehen und sich Thee machen zu lassen bei seiner Schreiberei. Fand er nun die Koͤchin noch nicht in der Kuͤche, so war er ganz sonderbar artig, nahm seine Violine, die er gut verstand, und spielte ein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0094" n="94"/><lb/> <p>Der junge Herr des Hauses, in voller Bluͤthe und Vergnuͤgung bei einer schoͤnen, guten, klugen und herzhaften Frau, war doch etwas zu munter und galant, um nicht endlich an der schoͤnen Jugend und Treuherzigkeit der Theanthis, die er anfangs nicht zu achten schien, zu viel Reitze oder Gefallen zu finden, wiewohl sie, was sie ihm aufzuwarten hatte, immer so gerad, kurz und still ehrerbietig fertig machte, als moͤglich; im letzten Jahre ihres Aufenthalts in dem Hause wurde er oft zudringlicher mit reizenden Reden und versuchten kleinen Karessen; davor hatte sie aber mehr fliehende Furcht und Abscheu als vor Widrigkeiten und Strengigkeiten, die sie in ihrer Eltern Hause schon gut ertragen, und zum Besten still nutzen gelernt hatte, denn sie ließ sich die Widrigkeiten und Noͤthe gerade zu Gott treiben und zum Halten des Herzens an Jhm, dem sie alles Gute dankte. Die schlechtesten irrdischen Umstaͤnde ließen sie auch fast nichts auf Erden erwarten, und verderbliche Ausschweifungen, wo sie etwan solche sehen mußte, erweckten ihr desto mehr Eckel und Abscheu zum Zuruͤckbeben. Zu bittre klare Fruͤchte davon erschrecken schon.</p> <p>Jn letzterm gedachten Jahre fiel es dem jungen Hausherrn ein, oft fruͤhe vor allen andern im Hause aufzustehen und sich Thee machen zu lassen bei seiner Schreiberei. Fand er nun die Koͤchin noch nicht in der Kuͤche, so war er ganz sonderbar artig, nahm seine Violine, die er gut verstand, und spielte ein<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [94/0094]
Der junge Herr des Hauses, in voller Bluͤthe und Vergnuͤgung bei einer schoͤnen, guten, klugen und herzhaften Frau, war doch etwas zu munter und galant, um nicht endlich an der schoͤnen Jugend und Treuherzigkeit der Theanthis, die er anfangs nicht zu achten schien, zu viel Reitze oder Gefallen zu finden, wiewohl sie, was sie ihm aufzuwarten hatte, immer so gerad, kurz und still ehrerbietig fertig machte, als moͤglich; im letzten Jahre ihres Aufenthalts in dem Hause wurde er oft zudringlicher mit reizenden Reden und versuchten kleinen Karessen; davor hatte sie aber mehr fliehende Furcht und Abscheu als vor Widrigkeiten und Strengigkeiten, die sie in ihrer Eltern Hause schon gut ertragen, und zum Besten still nutzen gelernt hatte, denn sie ließ sich die Widrigkeiten und Noͤthe gerade zu Gott treiben und zum Halten des Herzens an Jhm, dem sie alles Gute dankte. Die schlechtesten irrdischen Umstaͤnde ließen sie auch fast nichts auf Erden erwarten, und verderbliche Ausschweifungen, wo sie etwan solche sehen mußte, erweckten ihr desto mehr Eckel und Abscheu zum Zuruͤckbeben. Zu bittre klare Fruͤchte davon erschrecken schon.
Jn letzterm gedachten Jahre fiel es dem jungen Hausherrn ein, oft fruͤhe vor allen andern im Hause aufzustehen und sich Thee machen zu lassen bei seiner Schreiberei. Fand er nun die Koͤchin noch nicht in der Kuͤche, so war er ganz sonderbar artig, nahm seine Violine, die er gut verstand, und spielte ein
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