Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.
Ein gewisser Kabalist, mit Nahmen Rabbi Joel Baalschem,*) wurde durch einige glückliche Kuren, die er durch seine medizinischen Kenntnisse und Taschenspielerkünste bewerkstelligte, zu dieser Zeit sehr berühmt, indem er vorgab, dieses alles nicht durch natürliche Mittel, sondern blos durch Hülfe der Kabala Maschiith (die praktische Kabala) und den Gebrauch der heiligen Nahmen bewerkstelligt zu haben. Auf diese Art spielte er in P. eine sehr glückliche Rolle. Er war auch auf Nachfolger in seiner Kunst bedacht. Unter seinen Schülern waren einige, die seine Profession ergriffen, und sich durch glückliche Kuren und Entdeckung der Diebstähle berühmt machten. Andre, von größerm Genie und edlerer Denkungsart, machten sich weit wichtigere Pläne: sie sahen ein, daß sie durch das Zutrauen des Volks sowohl ihr eigenes als das allgemeine Jnteresse würden aufs Beste befördern können, und wollten es durch Aufklärung beherrschen; ihr Plan war also moralisch und politisch zugleich.*) Anfangs *) Baalschem heißt derjenige, der sich mit der praktischen Kabala, d.h. mit Geisterbeschwörung und Amuletenschreiben abgiebt, wozu die Nahmen Gottes und mancherlei Geister gebraucht werden. *) Da B. J. nie zum Range eines Obern in dieser Gesellschaft gelangt ist, so kann die Darstellung ihres Plans nicht als ein in Erfahrung gebrachtes Faktum, sondern blos als ein durch Reflexion herausgebrachtes Raisonnement betrachtet werden. Jn wiefern dieses Raisonnement gegründet sey, läßt sich blos aus Analogie nach Regeln der Wahrscheinlichkeit bestimmen.
Ein gewisser Kabalist, mit Nahmen Rabbi Joel Baalschem,*) wurde durch einige gluͤckliche Kuren, die er durch seine medizinischen Kenntnisse und Taschenspielerkuͤnste bewerkstelligte, zu dieser Zeit sehr beruͤhmt, indem er vorgab, dieses alles nicht durch natuͤrliche Mittel, sondern blos durch Huͤlfe der Kabala Maschiith (die praktische Kabala) und den Gebrauch der heiligen Nahmen bewerkstelligt zu haben. Auf diese Art spielte er in P. eine sehr gluͤckliche Rolle. Er war auch auf Nachfolger in seiner Kunst bedacht. Unter seinen Schuͤlern waren einige, die seine Profession ergriffen, und sich durch gluͤckliche Kuren und Entdeckung der Diebstaͤhle beruͤhmt machten. Andre, von groͤßerm Genie und edlerer Denkungsart, machten sich weit wichtigere Plaͤne: sie sahen ein, daß sie durch das Zutrauen des Volks sowohl ihr eigenes als das allgemeine Jnteresse wuͤrden aufs Beste befoͤrdern koͤnnen, und wollten es durch Aufklaͤrung beherrschen; ihr Plan war also moralisch und politisch zugleich.*) Anfangs *) Baalschem heißt derjenige, der sich mit der praktischen Kabala, d.h. mit Geisterbeschwoͤrung und Amuletenschreiben abgiebt, wozu die Nahmen Gottes und mancherlei Geister gebraucht werden. *) Da B. J. nie zum Range eines Obern in dieser Gesellschaft gelangt ist, so kann die Darstellung ihres Plans nicht als ein in Erfahrung gebrachtes Faktum, sondern blos als ein durch Reflexion herausgebrachtes Raisonnement betrachtet werden. Jn wiefern dieses Raisonnement gegruͤndet sey, laͤßt sich blos aus Analogie nach Regeln der Wahrscheinlichkeit bestimmen.
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sie von selbst verstanden worden sind, in Ausuͤbung gebracht.
Ein gewisser Kabalist, mit Nahmen Rabbi Joel Baalschem,*) wurde durch einige gluͤckliche Kuren, die er durch seine medizinischen Kenntnisse und Taschenspielerkuͤnste bewerkstelligte, zu dieser Zeit sehr beruͤhmt, indem er vorgab, dieses alles nicht durch natuͤrliche Mittel, sondern blos durch Huͤlfe der Kabala Maschiith (die praktische Kabala) und den Gebrauch der heiligen Nahmen bewerkstelligt zu haben. Auf diese Art spielte er in P. eine sehr gluͤckliche Rolle.
Er war auch auf Nachfolger in seiner Kunst bedacht. Unter seinen Schuͤlern waren einige, die seine Profession ergriffen, und sich durch gluͤckliche Kuren und Entdeckung der Diebstaͤhle beruͤhmt machten. Andre, von groͤßerm Genie und edlerer Denkungsart, machten sich weit wichtigere Plaͤne: sie sahen ein, daß sie durch das Zutrauen des Volks sowohl ihr eigenes als das allgemeine Jnteresse wuͤrden aufs Beste befoͤrdern koͤnnen, und wollten es durch Aufklaͤrung beherrschen; ihr Plan war also moralisch und politisch zugleich.*) Anfangs
*) Baalschem heißt derjenige, der sich mit der praktischen Kabala, d.h. mit Geisterbeschwoͤrung und Amuletenschreiben abgiebt, wozu die Nahmen Gottes und mancherlei Geister gebraucht werden.
*) Da B. J. nie zum Range eines Obern in dieser Gesellschaft gelangt ist, so kann die Darstellung ihres Plans nicht als ein in Erfahrung gebrachtes Faktum, sondern blos als ein durch Reflexion herausgebrachtes Raisonnement betrachtet werden. Jn wiefern dieses Raisonnement gegruͤndet sey, laͤßt sich blos aus Analogie nach Regeln der Wahrscheinlichkeit bestimmen.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/68>, abgerufen am 17.02.2025. |