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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

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ren könne; selbst die für nothwendig erkannten wurden nach und nach immer mehr beschnitten, bis sie zuletzt gänzlich vernachlässigt wurden. Einst, da sie während der Gebetszeit auf dem Walle spazieren giengen, sagte L.: Freund! was wird aus uns werden? wir beten ja nicht mehr. B. J. Nun was meinst du dazu? L. Jch verlasse mich auf die Barmherzigkeit Gottes, der gewiß nicht seine Kinder einer kleinen Nachlässigkeit wegen strenge bestrafen wird. B. J. Gott ist nicht blos barmherzig, er ist auch gerecht, folglich kann uns dieser Grund nicht viel helfen. L. Was meinst du denn dazu? B. J. (der schon aus dem Maymonides richtigere Begriffe von Gott, und den Pflichten gegen ihn, erlangt hatte) Unsre Bestimmung ist blos, Erlangung der Vollkommenheit durch die Erkenntniß Gottes und Nachahmung seiner Handlungen. Das Beten ist blos der Ausdruck von der Erkenntniß der göttlichen Vollkommenheiten, und als Resultat dieser Erkenntniß blos für den gemeinen Mann, der zu dieser Erkenntniß von selbst nicht gelangen kann, bestimmt, und daher auch nur seiner Fassungsart angemessen. Da wir aber den Zweck des Betens einsehn, und zu demselben unmittelbar gelangen können, so können wir das Beten als etwas Ueberflüssiges gänzlich entbehren. Dieses Argument schien beiden sehr gegründet zu seyn. Sie beschlossen daher, um kein Aergerniß zu geben, alle Morgen mit ihren Taleth und Tefilim


ren koͤnne; selbst die fuͤr nothwendig erkannten wurden nach und nach immer mehr beschnitten, bis sie zuletzt gaͤnzlich vernachlaͤssigt wurden. Einst, da sie waͤhrend der Gebetszeit auf dem Walle spazieren giengen, sagte L.: Freund! was wird aus uns werden? wir beten ja nicht mehr. B. J. Nun was meinst du dazu? L. Jch verlasse mich auf die Barmherzigkeit Gottes, der gewiß nicht seine Kinder einer kleinen Nachlaͤssigkeit wegen strenge bestrafen wird. B. J. Gott ist nicht blos barmherzig, er ist auch gerecht, folglich kann uns dieser Grund nicht viel helfen. L. Was meinst du denn dazu? B. J. (der schon aus dem Maymonides richtigere Begriffe von Gott, und den Pflichten gegen ihn, erlangt hatte) Unsre Bestimmung ist blos, Erlangung der Vollkommenheit durch die Erkenntniß Gottes und Nachahmung seiner Handlungen. Das Beten ist blos der Ausdruck von der Erkenntniß der goͤttlichen Vollkommenheiten, und als Resultat dieser Erkenntniß blos fuͤr den gemeinen Mann, der zu dieser Erkenntniß von selbst nicht gelangen kann, bestimmt, und daher auch nur seiner Fassungsart angemessen. Da wir aber den Zweck des Betens einsehn, und zu demselben unmittelbar gelangen koͤnnen, so koͤnnen wir das Beten als etwas Ueberfluͤssiges gaͤnzlich entbehren. Dieses Argument schien beiden sehr gegruͤndet zu seyn. Sie beschlossen daher, um kein Aergerniß zu geben, alle Morgen mit ihren Taleth und Tefilim

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[52/0052] ren koͤnne; selbst die fuͤr nothwendig erkannten wurden nach und nach immer mehr beschnitten, bis sie zuletzt gaͤnzlich vernachlaͤssigt wurden. Einst, da sie waͤhrend der Gebetszeit auf dem Walle spazieren giengen, sagte L.: Freund! was wird aus uns werden? wir beten ja nicht mehr. B. J. Nun was meinst du dazu? L. Jch verlasse mich auf die Barmherzigkeit Gottes, der gewiß nicht seine Kinder einer kleinen Nachlaͤssigkeit wegen strenge bestrafen wird. B. J. Gott ist nicht blos barmherzig, er ist auch gerecht, folglich kann uns dieser Grund nicht viel helfen. L. Was meinst du denn dazu? B. J. (der schon aus dem Maymonides richtigere Begriffe von Gott, und den Pflichten gegen ihn, erlangt hatte) Unsre Bestimmung ist blos, Erlangung der Vollkommenheit durch die Erkenntniß Gottes und Nachahmung seiner Handlungen. Das Beten ist blos der Ausdruck von der Erkenntniß der goͤttlichen Vollkommenheiten, und als Resultat dieser Erkenntniß blos fuͤr den gemeinen Mann, der zu dieser Erkenntniß von selbst nicht gelangen kann, bestimmt, und daher auch nur seiner Fassungsart angemessen. Da wir aber den Zweck des Betens einsehn, und zu demselben unmittelbar gelangen koͤnnen, so koͤnnen wir das Beten als etwas Ueberfluͤssiges gaͤnzlich entbehren. Dieses Argument schien beiden sehr gegruͤndet zu seyn. Sie beschlossen daher, um kein Aergerniß zu geben, alle Morgen mit ihren Taleth und Tefilim

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/52>, abgerufen am 27.11.2024.