Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0046" n="46"/><lb/> von der Erde und komm zu uns! Dieses wiederholen sie dreimal, und damit wird der Mensch auf einmal von allen seinen Geluͤbden loß. Bei dergleichen tragikomischen Scenen hat es immer schwer gehalten, daß sich <hi rendition="#b">B. J.</hi> des Lachens enthielt. Es uͤberfiel ihn eine Schamroͤthe, wenn er dergleichen Operationen mit sich vornehmen sollte. Er suchte daher, wenn er darum angehalten wurde, sich dadurch von denselben loß zu machen, daß er vorgab, es in einer andern Synagoge schon verrichtet zu haben, oder noch verrichten zu wollen. Eine sehr merkwuͤrdige psychologische Erscheinung! Man sollte denken, daß es unmoͤglich sey, daß sich jemand solcher Handlungen schaͤmen sollte, die er alle andern ohne die mindeste Schamroͤthe ausuͤben sieht, und doch war es hier der Fall; welches Phaͤnomen sich nur dadurch erklaͤren laͤßt, daß er bei allen seinen Handlungen erst auf <hi rendition="#b">die Natur der Handlung an sich</hi> (ob sie an sich recht oder unrecht, schicklich oder unschicklich sey), und dann auf <hi rendition="#b">ihre Natur, in Beziehung auf irgend einen Zweck,</hi> Ruͤcksicht nahm, und sie nur dann <hi rendition="#b">als Mittel</hi> billigte, wenn sie <hi rendition="#b">an sich</hi> nicht zu mißbilligen war; welches Prinzip sich nachher in seinem ganzen Religions- und Moralsystem voͤllig entwickelt hat; dahingegen die mehrsten Menschen zum Prinzip haben: <hi rendition="#b">der Zweck entschuldigt die Mittel.</hi> Dieses aber weiter zu untersuchen ist hier der Ort nicht. —</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [46/0046]
von der Erde und komm zu uns! Dieses wiederholen sie dreimal, und damit wird der Mensch auf einmal von allen seinen Geluͤbden loß. Bei dergleichen tragikomischen Scenen hat es immer schwer gehalten, daß sich B. J. des Lachens enthielt. Es uͤberfiel ihn eine Schamroͤthe, wenn er dergleichen Operationen mit sich vornehmen sollte. Er suchte daher, wenn er darum angehalten wurde, sich dadurch von denselben loß zu machen, daß er vorgab, es in einer andern Synagoge schon verrichtet zu haben, oder noch verrichten zu wollen. Eine sehr merkwuͤrdige psychologische Erscheinung! Man sollte denken, daß es unmoͤglich sey, daß sich jemand solcher Handlungen schaͤmen sollte, die er alle andern ohne die mindeste Schamroͤthe ausuͤben sieht, und doch war es hier der Fall; welches Phaͤnomen sich nur dadurch erklaͤren laͤßt, daß er bei allen seinen Handlungen erst auf die Natur der Handlung an sich (ob sie an sich recht oder unrecht, schicklich oder unschicklich sey), und dann auf ihre Natur, in Beziehung auf irgend einen Zweck, Ruͤcksicht nahm, und sie nur dann als Mittel billigte, wenn sie an sich nicht zu mißbilligen war; welches Prinzip sich nachher in seinem ganzen Religions- und Moralsystem voͤllig entwickelt hat; dahingegen die mehrsten Menschen zum Prinzip haben: der Zweck entschuldigt die Mittel. Dieses aber weiter zu untersuchen ist hier der Ort nicht. —
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