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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

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wenn sie ja neu zu füllen wären, erst durch simpel Wasser oder Feuer, Luft und Sonne gereinigt, wie Tabula rasa werden müssen, daß nehmlich zu ganz reinem Fassen, reinem Kritisiren, reinem Theorisiren eben so viel absolut frei resolute, lautre, ganze, stätige Selbstverleugnung, ja Selbstvergessung gehört, als zu reinem Praktiziren eines reinen Willens. Augen, Ohren, Herzen, Edle, wo es noch giebt, merkt auf! Nicht umsonst zeigte Diotima, des Sokrates wahre Liebeslehrerin, daß diejenige Liebe, die zwischen Himmel und Erde Gemeinschaft stiftet, eigentlich Philosoph sey, Dolmetschergeist des Himmels für die Erde, der Erde für den Himmel, wie nach unserer weitern Aussicht, Vorsteller des Urquells aller Kräfte, Gesetze und Formen für die Natur, und so, der Grundharmonie aller ursprünglichen Spontaneität und Receptivität zu ihrer Wechselwirkung, Gemeinschaft und Fruchtbarkeit, alles aus Einem Prinzip und zu dem Einen zurück durch harmonische Temperatur in allen Wirkungssphären der ewigen reinen Liebe.

Was ist nun Philosophiren? Jn einzig würdigem Sinn ists lauterlich lieben, die reine, die wesentliche Harmonie, die da Wahrheit heißt, in lautrer Liebe ihr ganz sich selbst aufopfern. Höchste Wahrheit, sey sie theoretisch oder praktisch, ist an sich absolute Convenienz, ewig ganzes, lautres Gegentheil des absoluten Widerspruchs an sich. Die Ewige ists werth. Unendlich ist ihre Klarheit, ihre


wenn sie ja neu zu fuͤllen waͤren, erst durch simpel Wasser oder Feuer, Luft und Sonne gereinigt, wie Tabula rasa werden muͤssen, daß nehmlich zu ganz reinem Fassen, reinem Kritisiren, reinem Theorisiren eben so viel absolut frei resolute, lautre, ganze, staͤtige Selbstverleugnung, ja Selbstvergessung gehoͤrt, als zu reinem Praktiziren eines reinen Willens. Augen, Ohren, Herzen, Edle, wo es noch giebt, merkt auf! Nicht umsonst zeigte Diotima, des Sokrates wahre Liebeslehrerin, daß diejenige Liebe, die zwischen Himmel und Erde Gemeinschaft stiftet, eigentlich Philosoph sey, Dolmetschergeist des Himmels fuͤr die Erde, der Erde fuͤr den Himmel, wie nach unserer weitern Aussicht, Vorsteller des Urquells aller Kraͤfte, Gesetze und Formen fuͤr die Natur, und so, der Grundharmonie aller urspruͤnglichen Spontaneitaͤt und Receptivitaͤt zu ihrer Wechselwirkung, Gemeinschaft und Fruchtbarkeit, alles aus Einem Prinzip und zu dem Einen zuruͤck durch harmonische Temperatur in allen Wirkungssphaͤren der ewigen reinen Liebe.

Was ist nun Philosophiren? Jn einzig wuͤrdigem Sinn ists lauterlich lieben, die reine, die wesentliche Harmonie, die da Wahrheit heißt, in lautrer Liebe ihr ganz sich selbst aufopfern. Hoͤchste Wahrheit, sey sie theoretisch oder praktisch, ist an sich absolute Convenienz, ewig ganzes, lautres Gegentheil des absoluten Widerspruchs an sich. Die Ewige ists werth. Unendlich ist ihre Klarheit, ihre

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[118/0118] wenn sie ja neu zu fuͤllen waͤren, erst durch simpel Wasser oder Feuer, Luft und Sonne gereinigt, wie Tabula rasa werden muͤssen, daß nehmlich zu ganz reinem Fassen, reinem Kritisiren, reinem Theorisiren eben so viel absolut frei resolute, lautre, ganze, staͤtige Selbstverleugnung, ja Selbstvergessung gehoͤrt, als zu reinem Praktiziren eines reinen Willens. Augen, Ohren, Herzen, Edle, wo es noch giebt, merkt auf! Nicht umsonst zeigte Diotima, des Sokrates wahre Liebeslehrerin, daß diejenige Liebe, die zwischen Himmel und Erde Gemeinschaft stiftet, eigentlich Philosoph sey, Dolmetschergeist des Himmels fuͤr die Erde, der Erde fuͤr den Himmel, wie nach unserer weitern Aussicht, Vorsteller des Urquells aller Kraͤfte, Gesetze und Formen fuͤr die Natur, und so, der Grundharmonie aller urspruͤnglichen Spontaneitaͤt und Receptivitaͤt zu ihrer Wechselwirkung, Gemeinschaft und Fruchtbarkeit, alles aus Einem Prinzip und zu dem Einen zuruͤck durch harmonische Temperatur in allen Wirkungssphaͤren der ewigen reinen Liebe. Was ist nun Philosophiren? Jn einzig wuͤrdigem Sinn ists lauterlich lieben, die reine, die wesentliche Harmonie, die da Wahrheit heißt, in lautrer Liebe ihr ganz sich selbst aufopfern. Hoͤchste Wahrheit, sey sie theoretisch oder praktisch, ist an sich absolute Convenienz, ewig ganzes, lautres Gegentheil des absoluten Widerspruchs an sich. Die Ewige ists werth. Unendlich ist ihre Klarheit, ihre

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/118>, abgerufen am 25.11.2024.