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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

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2. Fortsetzung des Aufsatzes über Täuschung und besonders vom Traume.*) (S. 8ten Bandes 3tes St. S. 17.)

Aus den Gründen, welche bisher vorgetragen worden, kann nun folgendes hergeleitet werden. Wenn die Einbildungskraft regiert, Bilder sehr lebhaft malt, Begebenheiten mit Nachdruck schildert, und die höheren Seelenkräfte unterdrückt, dann ist sie, wenn das Bewußtsein zugleich unvollkommen ist, auch täuschend, weil die Spur der vorhergegangenen Jdeenreihe, mithin das Kennzeichen von der innern Erzeugung einer Vorstellung oft verlohren geht, der auch die Ungereimtheiten, wegen der Schwäche Vernunft und des Verstandes, nicht auffallen können.*)


*) Dieser Aufsatz, der bei allem Mangel an Einheit des Prinzips sehr scharfsinnige Bemerkungen enthält, verdient hier allerdings eine Stelle. Jch habe durch einige beygefügte Anmerkungen die Jdeen des Verfassers zu berichtigen, und mit den Meinigen gegeneinander zu halten gesucht, wodurch der denkende Leser sie zu beurtheilen ehr im Stande seyn wird. S. M.
*) Aber warum wird die Einbildungskraft wegen ihrer Lebhaftigkeit täuschend? Sich täuschen, heißt,dasjenige, was nicht wirklich ist, für würklich zu halten. Nun ist aber, der Erklärung des Verfassers zur Folge, die Unterbrechung einer Jdeenreihe, das Merkmal der Wirklichkeit, so wie umgekehrt das Bewußtsein der Erzeugung der Jdeen aus einander, nach dem Gesetze der Assoziation, das Merkmal der Nichtwirklichkeit. Jm Traume aber, da die Seele gänzlich außer sich geräth, und sich bloß mit den ihr vorschwebenden Bildern beschäftigt, urtheilt man so wenig von der Wirklichkeit als von der Nichtwirklichkeit dieser Bilder, ihre Folgen in Ansehung des Subjekts sind immer eben dieselben. Nach dem Aufwachen urtheilt man zwar, dieser Erklärung zufolge, durch Erinnerung der Ununterbrechung dieser Reihe, daß sie blos subjektiv (nicht wirklich) war. Aber wo ist hier die Täuschung? Hat man sie denn im Traume für Objektiv gehalten? das kann nicht sein, da man in ihr keine Unterbrechung (das nach dem Verfasser Merkmal der Objektivität oder Wirklichkeit ist) wahrgenommen hatte. Man hat also nicht im Traume dasjenige für wirklich gehalten, was man im Wachen für Nichtwirklich erkennt, d.h. man hat sich nicht getäuscht. Meiner Erklärung (9ten Bandes 1tes St. S. 2.) zu Folge hingegen, beruht das Urtheil von der Objektivität der Jdeen auf dem Bewußtsein der Selbstmacht der Seele, die Association der Jdeen zweckmäßig zu bestimmen. Die Richtigkeit dieses Bewußtseins aber kann nicht an sich, sondern bloß durch äußere Merkmale erkannt werden, nehmlich durch die Uebereinstimmung mit der Ordnung der Natur, ohne welche keine Zweckmäßigkeit gedacht werden kann. Folglich kann man allerdings im Traume, da die Urtheilskraft unthätig, und nur die Einbildungskraft allein thätig ist, glauben, daß man diese Selbstmacht besitze (so wie der Stein, der vom Dache herunter fällt, der mit Bewußtsein begabt, von den Gesetzen der Schwere aber nichts wissen würde, dem Spinoza zu Folge, diese Handlung für freiwillig halten müßte), nach dem Aufwachen aber, kann man durch Erinnerung der Unzweckmäßigkeit der Jdeenfolge, oder ihre Unübereinstimmung mit der Ordnung der Natur, diese Täuschung leicht entdecken. S. M.

2. Fortsetzung des Aufsatzes uͤber Taͤuschung und besonders vom Traume.*) (S. 8ten Bandes 3tes St. S. 17.)

Aus den Gruͤnden, welche bisher vorgetragen worden, kann nun folgendes hergeleitet werden. Wenn die Einbildungskraft regiert, Bilder sehr lebhaft malt, Begebenheiten mit Nachdruck schildert, und die hoͤheren Seelenkraͤfte unterdruͤckt, dann ist sie, wenn das Bewußtsein zugleich unvollkommen ist, auch taͤuschend, weil die Spur der vorhergegangenen Jdeenreihe, mithin das Kennzeichen von der innern Erzeugung einer Vorstellung oft verlohren geht, der auch die Ungereimtheiten, wegen der Schwaͤche Vernunft und des Verstandes, nicht auffallen koͤnnen.*)


*) Dieser Aufsatz, der bei allem Mangel an Einheit des Prinzips sehr scharfsinnige Bemerkungen enthaͤlt, verdient hier allerdings eine Stelle. Jch habe durch einige beygefuͤgte Anmerkungen die Jdeen des Verfassers zu berichtigen, und mit den Meinigen gegeneinander zu halten gesucht, wodurch der denkende Leser sie zu beurtheilen ehr im Stande seyn wird. S. M.
*) Aber warum wird die Einbildungskraft wegen ihrer Lebhaftigkeit taͤuschend? Sich taͤuschen, heißt,dasjenige, was nicht wirklich ist, fuͤr wuͤrklich zu halten. Nun ist aber, der Erklaͤrung des Verfassers zur Folge, die Unterbrechung einer Jdeenreihe, das Merkmal der Wirklichkeit, so wie umgekehrt das Bewußtsein der Erzeugung der Jdeen aus einander, nach dem Gesetze der Assoziation, das Merkmal der Nichtwirklichkeit. Jm Traume aber, da die Seele gaͤnzlich außer sich geraͤth, und sich bloß mit den ihr vorschwebenden Bildern beschaͤftigt, urtheilt man so wenig von der Wirklichkeit als von der Nichtwirklichkeit dieser Bilder, ihre Folgen in Ansehung des Subjekts sind immer eben dieselben. Nach dem Aufwachen urtheilt man zwar, dieser Erklaͤrung zufolge, durch Erinnerung der Ununterbrechung dieser Reihe, daß sie blos subjektiv (nicht wirklich) war. Aber wo ist hier die Taͤuschung? Hat man sie denn im Traume fuͤr Objektiv gehalten? das kann nicht sein, da man in ihr keine Unterbrechung (das nach dem Verfasser Merkmal der Objektivitaͤt oder Wirklichkeit ist) wahrgenommen hatte. Man hat also nicht im Traume dasjenige fuͤr wirklich gehalten, was man im Wachen fuͤr Nichtwirklich erkennt, d.h. man hat sich nicht getaͤuscht. Meiner Erklaͤrung (9ten Bandes 1tes St. S. 2.) zu Folge hingegen, beruht das Urtheil von der Objektivitaͤt der Jdeen auf dem Bewußtsein der Selbstmacht der Seele, die Association der Jdeen zweckmaͤßig zu bestimmen. Die Richtigkeit dieses Bewußtseins aber kann nicht an sich, sondern bloß durch aͤußere Merkmale erkannt werden, nehmlich durch die Uebereinstimmung mit der Ordnung der Natur, ohne welche keine Zweckmaͤßigkeit gedacht werden kann. Folglich kann man allerdings im Traume, da die Urtheilskraft unthaͤtig, und nur die Einbildungskraft allein thaͤtig ist, glauben, daß man diese Selbstmacht besitze (so wie der Stein, der vom Dache herunter faͤllt, der mit Bewußtsein begabt, von den Gesetzen der Schwere aber nichts wissen wuͤrde, dem Spinoza zu Folge, diese Handlung fuͤr freiwillig halten muͤßte), nach dem Aufwachen aber, kann man durch Erinnerung der Unzweckmaͤßigkeit der Jdeenfolge, oder ihre Unuͤbereinstimmung mit der Ordnung der Natur, diese Taͤuschung leicht entdecken. S. M.
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[10/0010] 2. Fortsetzung des Aufsatzes uͤber Taͤuschung und besonders vom Traume.*) (S. 8ten Bandes 3tes St. S. 17.) Aus den Gruͤnden, welche bisher vorgetragen worden, kann nun folgendes hergeleitet werden. Wenn die Einbildungskraft regiert, Bilder sehr lebhaft malt, Begebenheiten mit Nachdruck schildert, und die hoͤheren Seelenkraͤfte unterdruͤckt, dann ist sie, wenn das Bewußtsein zugleich unvollkommen ist, auch taͤuschend, weil die Spur der vorhergegangenen Jdeenreihe, mithin das Kennzeichen von der innern Erzeugung einer Vorstellung oft verlohren geht, der auch die Ungereimtheiten, wegen der Schwaͤche Vernunft und des Verstandes, nicht auffallen koͤnnen.*) *) Dieser Aufsatz, der bei allem Mangel an Einheit des Prinzips sehr scharfsinnige Bemerkungen enthaͤlt, verdient hier allerdings eine Stelle. Jch habe durch einige beygefuͤgte Anmerkungen die Jdeen des Verfassers zu berichtigen, und mit den Meinigen gegeneinander zu halten gesucht, wodurch der denkende Leser sie zu beurtheilen ehr im Stande seyn wird. S. M. *) Aber warum wird die Einbildungskraft wegen ihrer Lebhaftigkeit taͤuschend? Sich taͤuschen, heißt,dasjenige, was nicht wirklich ist, fuͤr wuͤrklich zu halten. Nun ist aber, der Erklaͤrung des Verfassers zur Folge, die Unterbrechung einer Jdeenreihe, das Merkmal der Wirklichkeit, so wie umgekehrt das Bewußtsein der Erzeugung der Jdeen aus einander, nach dem Gesetze der Assoziation, das Merkmal der Nichtwirklichkeit. Jm Traume aber, da die Seele gaͤnzlich außer sich geraͤth, und sich bloß mit den ihr vorschwebenden Bildern beschaͤftigt, urtheilt man so wenig von der Wirklichkeit als von der Nichtwirklichkeit dieser Bilder, ihre Folgen in Ansehung des Subjekts sind immer eben dieselben. Nach dem Aufwachen urtheilt man zwar, dieser Erklaͤrung zufolge, durch Erinnerung der Ununterbrechung dieser Reihe, daß sie blos subjektiv (nicht wirklich) war. Aber wo ist hier die Taͤuschung? Hat man sie denn im Traume fuͤr Objektiv gehalten? das kann nicht sein, da man in ihr keine Unterbrechung (das nach dem Verfasser Merkmal der Objektivitaͤt oder Wirklichkeit ist) wahrgenommen hatte. Man hat also nicht im Traume dasjenige fuͤr wirklich gehalten, was man im Wachen fuͤr Nichtwirklich erkennt, d.h. man hat sich nicht getaͤuscht. Meiner Erklaͤrung (9ten Bandes 1tes St. S. 2.) zu Folge hingegen, beruht das Urtheil von der Objektivitaͤt der Jdeen auf dem Bewußtsein der Selbstmacht der Seele, die Association der Jdeen zweckmaͤßig zu bestimmen. Die Richtigkeit dieses Bewußtseins aber kann nicht an sich, sondern bloß durch aͤußere Merkmale erkannt werden, nehmlich durch die Uebereinstimmung mit der Ordnung der Natur, ohne welche keine Zweckmaͤßigkeit gedacht werden kann. Folglich kann man allerdings im Traume, da die Urtheilskraft unthaͤtig, und nur die Einbildungskraft allein thaͤtig ist, glauben, daß man diese Selbstmacht besitze (so wie der Stein, der vom Dache herunter faͤllt, der mit Bewußtsein begabt, von den Gesetzen der Schwere aber nichts wissen wuͤrde, dem Spinoza zu Folge, diese Handlung fuͤr freiwillig halten muͤßte), nach dem Aufwachen aber, kann man durch Erinnerung der Unzweckmaͤßigkeit der Jdeenfolge, oder ihre Unuͤbereinstimmung mit der Ordnung der Natur, diese Taͤuschung leicht entdecken. S. M.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/10>, abgerufen am 24.11.2024.