Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.
Sehr wichtig ist die Bemerkung des Verfassers, (S. 73 und 74.) daß der hauptsächlichste Vorzug des Menschen vor den Thieren in der (thätigen) imagination (dem Dichtungsvermögen) bestehe. Hier sind seine eignen Worte: "Woher kommts, daß der Mensch alle seine Gefühle, "zwar so ungleich langsamer, aber endlich in einem weit höhern Grade entwickelt, als irgend ein Thier? Fehlts dem letztern an der regen Lebhaftigkeit derselben? Bei einigen ganz und gar nicht, in welchen sie uns im Gegentheil oft übertreffen, der Anschein wenigstens ist zuweilen recht beschämend wider uns. Es muß ihnen also an einem Vermögen fehlen, das wir haben und allen unsern übrigen dergestalt zum Wetzstein dient, oder sie electrisirt, daß sie erst dadurch so großer Thaten fähig, so rüstig und so innig verbunden werden. Was sollte das für eines seyn? Vermuthlich die Unterscheidungskraft? Glaub's nicht. Der Witz? Eben so wenig -- obgleich beide in den Thieren den unsrigen nicht beikommen, aber sie haben davon auch schon ihr Theil recht gut. Nun so ist es die Vernunft; ja ja, die wirds seyn, die fehlt ihnen ganz und gar! Nicht so sehr; denn wenn
Sehr wichtig ist die Bemerkung des Verfassers, (S. 73 und 74.) daß der hauptsaͤchlichste Vorzug des Menschen vor den Thieren in der (thaͤtigen) imagination (dem Dichtungsvermoͤgen) bestehe. Hier sind seine eignen Worte: »Woher kommts, daß der Mensch alle seine Gefuͤhle, »zwar so ungleich langsamer, aber endlich in einem weit hoͤhern Grade entwickelt, als irgend ein Thier? Fehlts dem letztern an der regen Lebhaftigkeit derselben? Bei einigen ganz und gar nicht, in welchen sie uns im Gegentheil oft uͤbertreffen, der Anschein wenigstens ist zuweilen recht beschaͤmend wider uns. Es muß ihnen also an einem Vermoͤgen fehlen, das wir haben und allen unsern uͤbrigen dergestalt zum Wetzstein dient, oder sie electrisirt, daß sie erst dadurch so großer Thaten faͤhig, so ruͤstig und so innig verbunden werden. Was sollte das fuͤr eines seyn? Vermuthlich die Unterscheidungskraft? Glaub's nicht. Der Witz? Eben so wenig — obgleich beide in den Thieren den unsrigen nicht beikommen, aber sie haben davon auch schon ihr Theil recht gut. Nun so ist es die Vernunft; ja ja, die wirds seyn, die fehlt ihnen ganz und gar! Nicht so sehr; denn wenn <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0096" n="94"/><lb/> ring sie denn auch ist, aufkommen kann. Jmmer einerlei Lage, einerlei Manches erhaͤlt im Schlafe. Aber Kontraste, Anstoͤße, <hi rendition="#aq">contraria,</hi> ja sogar nur <hi rendition="#aq">disparata</hi> wecken auf.«</p> <p>Sehr wichtig ist die Bemerkung des Verfassers, (S. 73 und 74.) daß der hauptsaͤchlichste Vorzug des Menschen vor den Thieren in der (thaͤtigen) <hi rendition="#aq">imagination </hi> (dem Dichtungsvermoͤgen) bestehe.</p> <p>Hier sind seine eignen Worte:</p> <p>»Woher kommts, daß der Mensch alle seine Gefuͤhle, »zwar so ungleich langsamer, aber endlich in einem weit hoͤhern Grade entwickelt, als irgend ein Thier? Fehlts dem letztern an der regen Lebhaftigkeit derselben? Bei einigen ganz und gar nicht, in welchen sie uns im Gegentheil oft uͤbertreffen, der Anschein wenigstens ist zuweilen recht beschaͤmend wider uns. Es muß ihnen also an einem Vermoͤgen fehlen, das wir haben und allen unsern uͤbrigen dergestalt zum Wetzstein dient, oder sie electrisirt, daß sie erst dadurch so großer Thaten faͤhig, so ruͤstig und so innig verbunden werden. Was sollte das fuͤr eines seyn? Vermuthlich die Unterscheidungskraft? Glaub's nicht. Der Witz? Eben so wenig — obgleich beide in den Thieren den unsrigen nicht beikommen, aber sie haben davon auch schon ihr Theil recht gut. Nun so ist es die Vernunft; ja ja, die wirds seyn, die fehlt ihnen ganz und gar! Nicht so sehr; denn wenn<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [94/0096]
ring sie denn auch ist, aufkommen kann. Jmmer einerlei Lage, einerlei Manches erhaͤlt im Schlafe. Aber Kontraste, Anstoͤße, contraria, ja sogar nur disparata wecken auf.«
Sehr wichtig ist die Bemerkung des Verfassers, (S. 73 und 74.) daß der hauptsaͤchlichste Vorzug des Menschen vor den Thieren in der (thaͤtigen) imagination (dem Dichtungsvermoͤgen) bestehe.
Hier sind seine eignen Worte:
»Woher kommts, daß der Mensch alle seine Gefuͤhle, »zwar so ungleich langsamer, aber endlich in einem weit hoͤhern Grade entwickelt, als irgend ein Thier? Fehlts dem letztern an der regen Lebhaftigkeit derselben? Bei einigen ganz und gar nicht, in welchen sie uns im Gegentheil oft uͤbertreffen, der Anschein wenigstens ist zuweilen recht beschaͤmend wider uns. Es muß ihnen also an einem Vermoͤgen fehlen, das wir haben und allen unsern uͤbrigen dergestalt zum Wetzstein dient, oder sie electrisirt, daß sie erst dadurch so großer Thaten faͤhig, so ruͤstig und so innig verbunden werden. Was sollte das fuͤr eines seyn? Vermuthlich die Unterscheidungskraft? Glaub's nicht. Der Witz? Eben so wenig — obgleich beide in den Thieren den unsrigen nicht beikommen, aber sie haben davon auch schon ihr Theil recht gut. Nun so ist es die Vernunft; ja ja, die wirds seyn, die fehlt ihnen ganz und gar! Nicht so sehr; denn wenn
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/96>, abgerufen am 28.07.2024. |