Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.
"Und sie kann, selbst nachdem sie mit so viel Mühe und Arbeit erlernt ist, gleich andern erlangten Fertigkeiten, durch Nichtübung verlohren werden, wovon ich zuvor ein merkwürdiges Beispiel an einem Knaben erwähnte, der sein Gehör nicht eher verlohr, bis er über acht Jahr alt war, und der nicht nur vollkommen reden, sondern auch lesen gelernt hatte; und doch, als er des Unterrichts wegen, zu Herrn Braidwood kam, welches in dem Alter von 25 Jahren geschahe, den Gebrauch der Sprache gänzlich verlohren hatte, und sie sowohl, als jeder andere Schüler lernen mußte; so daß wir daran nicht zweifeln dürfen, was Alexander Selkirk sagt, der nur drei Jahre in der wüsten Jnsel Juan Fernandez war: daß er während der kurzen Zeit den Gebrauch der Sprache so sehr verlohren gehabt habe, daß er denen, die ihn daselbst gefunden, kaum verständlich gewesen sey, u.s.w." Mein würdiger Freund, der Hr. Geheimerath von L. erzählte mir von sich selbst eine ähnliche Begebenheit; nehmlich, nachdem er die Pronunciation der französischen Sprache aufs vollständigste erlernt gehabt habe, habe er sie hernach, aus Mangel an Uebung wieder so verlernt, daß, obschon er noch immer im Stande gewesen, wenn er andere habe
»Und sie kann, selbst nachdem sie mit so viel Muͤhe und Arbeit erlernt ist, gleich andern erlangten Fertigkeiten, durch Nichtuͤbung verlohren werden, wovon ich zuvor ein merkwuͤrdiges Beispiel an einem Knaben erwaͤhnte, der sein Gehoͤr nicht eher verlohr, bis er uͤber acht Jahr alt war, und der nicht nur vollkommen reden, sondern auch lesen gelernt hatte; und doch, als er des Unterrichts wegen, zu Herrn Braidwood kam, welches in dem Alter von 25 Jahren geschahe, den Gebrauch der Sprache gaͤnzlich verlohren hatte, und sie sowohl, als jeder andere Schuͤler lernen mußte; so daß wir daran nicht zweifeln duͤrfen, was Alexander Selkirk sagt, der nur drei Jahre in der wuͤsten Jnsel Juan Fernandez war: daß er waͤhrend der kurzen Zeit den Gebrauch der Sprache so sehr verlohren gehabt habe, daß er denen, die ihn daselbst gefunden, kaum verstaͤndlich gewesen sey, u.s.w.« Mein wuͤrdiger Freund, der Hr. Geheimerath von L. erzaͤhlte mir von sich selbst eine aͤhnliche Begebenheit; nehmlich, nachdem er die Pronunciation der franzoͤsischen Sprache aufs vollstaͤndigste erlernt gehabt habe, habe er sie hernach, aus Mangel an Uebung wieder so verlernt, daß, obschon er noch immer im Stande gewesen, wenn er andere habe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0089" n="87"/><lb/> sondern bestaͤndige und ununterbrochene Uebung wird, auf viele Jahre, und jede Stunde, ich mag sagen jede Minute des Tages, dazu erfodert.«</p> <p>»Und sie kann, selbst nachdem sie mit so viel Muͤhe und Arbeit erlernt ist, gleich andern erlangten Fertigkeiten, durch Nichtuͤbung verlohren werden, wovon ich zuvor ein merkwuͤrdiges Beispiel an einem Knaben erwaͤhnte, der sein Gehoͤr nicht eher verlohr, bis er uͤber acht Jahr alt war, und der nicht nur vollkommen reden, sondern auch lesen gelernt hatte; und doch, als er des Unterrichts wegen, zu Herrn Braidwood kam, welches in dem Alter von 25 Jahren geschahe, den Gebrauch der Sprache gaͤnzlich verlohren hatte, und sie sowohl, als jeder andere Schuͤler lernen mußte; so daß wir daran nicht zweifeln duͤrfen, was Alexander Selkirk sagt, der nur drei Jahre in der wuͤsten Jnsel Juan Fernandez war: daß er waͤhrend der kurzen Zeit den Gebrauch der Sprache so sehr verlohren gehabt habe, daß er denen, die ihn daselbst gefunden, kaum verstaͤndlich gewesen sey, u.s.w.«</p> <p>Mein wuͤrdiger Freund, der Hr. Geheimerath von L. erzaͤhlte mir von sich selbst eine aͤhnliche Begebenheit; nehmlich, nachdem er die Pronunciation der franzoͤsischen Sprache aufs vollstaͤndigste erlernt gehabt habe, habe er sie hernach, aus Mangel an Uebung wieder so verlernt, daß, obschon er noch immer im Stande gewesen, wenn er andere habe<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [87/0089]
sondern bestaͤndige und ununterbrochene Uebung wird, auf viele Jahre, und jede Stunde, ich mag sagen jede Minute des Tages, dazu erfodert.«
»Und sie kann, selbst nachdem sie mit so viel Muͤhe und Arbeit erlernt ist, gleich andern erlangten Fertigkeiten, durch Nichtuͤbung verlohren werden, wovon ich zuvor ein merkwuͤrdiges Beispiel an einem Knaben erwaͤhnte, der sein Gehoͤr nicht eher verlohr, bis er uͤber acht Jahr alt war, und der nicht nur vollkommen reden, sondern auch lesen gelernt hatte; und doch, als er des Unterrichts wegen, zu Herrn Braidwood kam, welches in dem Alter von 25 Jahren geschahe, den Gebrauch der Sprache gaͤnzlich verlohren hatte, und sie sowohl, als jeder andere Schuͤler lernen mußte; so daß wir daran nicht zweifeln duͤrfen, was Alexander Selkirk sagt, der nur drei Jahre in der wuͤsten Jnsel Juan Fernandez war: daß er waͤhrend der kurzen Zeit den Gebrauch der Sprache so sehr verlohren gehabt habe, daß er denen, die ihn daselbst gefunden, kaum verstaͤndlich gewesen sey, u.s.w.«
Mein wuͤrdiger Freund, der Hr. Geheimerath von L. erzaͤhlte mir von sich selbst eine aͤhnliche Begebenheit; nehmlich, nachdem er die Pronunciation der franzoͤsischen Sprache aufs vollstaͤndigste erlernt gehabt habe, habe er sie hernach, aus Mangel an Uebung wieder so verlernt, daß, obschon er noch immer im Stande gewesen, wenn er andere habe
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/89>, abgerufen am 17.02.2025. |