Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.Der Aufseher kam, und hohlte ihn herein. Er blieb den Tag über da, und freute sich in der Hoffnung recht krank zu werden, und auf diese Art einen längern Aufenthalt zu erzwingen; während welcher Zeit er mehrere Bekanntschaft zu machen glaubte, wodurch er Schutz und Erlaubniß in B. zu bleiben zu erhalten hoffte. Aber er wurde in seiner Hoffnung getäuscht. Den folgenden Tag stand er wieder munter auf, ohne etwas Fieberhaftes zu spüren. Er mußte also fort. Aber wohin? das wußte er selbst nicht. Er nahm also den ersten den besten Weg, und gieng, ohne zu wissen, wohin. Am Abend kam er in ein Wirthshaus, wo er einen armen Fußgänger, der ein Betteljude ex professo war, antraf. Es freuete ihn ungemein, einen seiner Mitbrüder anzutreffen, mit dem er sprechen konnte, und dem diese Gegenden ziemlich bekannt waren. Er entschloß sich daher, mit diesem Gesellschafter im Lande herumzustreichen, um auf diese Art sein Leben zu erhalten, obwohl keine solche heterogene Personen in der Welt anzutreffen sind. Der Aufseher kam, und hohlte ihn herein. Er blieb den Tag uͤber da, und freute sich in der Hoffnung recht krank zu werden, und auf diese Art einen laͤngern Aufenthalt zu erzwingen; waͤhrend welcher Zeit er mehrere Bekanntschaft zu machen glaubte, wodurch er Schutz und Erlaubniß in B. zu bleiben zu erhalten hoffte. Aber er wurde in seiner Hoffnung getaͤuscht. Den folgenden Tag stand er wieder munter auf, ohne etwas Fieberhaftes zu spuͤren. Er mußte also fort. Aber wohin? das wußte er selbst nicht. Er nahm also den ersten den besten Weg, und gieng, ohne zu wissen, wohin. Am Abend kam er in ein Wirthshaus, wo er einen armen Fußgaͤnger, der ein Betteljude ex professo war, antraf. Es freuete ihn ungemein, einen seiner Mitbruͤder anzutreffen, mit dem er sprechen konnte, und dem diese Gegenden ziemlich bekannt waren. Er entschloß sich daher, mit diesem Gesellschafter im Lande herumzustreichen, um auf diese Art sein Leben zu erhalten, obwohl keine solche heterogene Personen in der Welt anzutreffen sind. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0056" n="54"/><lb/> <p>Der Aufseher kam, und hohlte ihn herein. Er blieb den Tag uͤber da, und freute sich in der Hoffnung recht krank zu werden, und auf diese Art einen laͤngern Aufenthalt zu erzwingen; waͤhrend welcher Zeit er mehrere Bekanntschaft zu machen glaubte, wodurch er Schutz und Erlaubniß in B. zu bleiben zu erhalten hoffte.</p> <p>Aber er wurde in seiner Hoffnung getaͤuscht. Den folgenden Tag stand er wieder munter auf, ohne etwas Fieberhaftes zu spuͤren. Er mußte also fort. Aber wohin? das wußte er selbst nicht.</p> <p>Er nahm also den ersten den besten Weg, und gieng, ohne zu wissen, wohin.</p> <p>Am Abend kam er in ein Wirthshaus, wo er einen armen Fußgaͤnger, der ein Betteljude <hi rendition="#b">ex professo</hi> war, antraf. Es freuete ihn ungemein, einen seiner Mitbruͤder anzutreffen, mit dem er sprechen konnte, und dem diese Gegenden ziemlich bekannt waren.</p> <p>Er entschloß sich daher, mit diesem Gesellschafter im Lande herumzustreichen, um auf diese Art sein Leben zu erhalten, obwohl keine solche heterogene Personen in der Welt anzutreffen sind. <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi> war ein gelehrter Rabbiner, jener hingegen ein Jdiot; <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi> hatte sich bis jetzt auf eine ehrenvolle Art ernaͤhrt, jener aber war ein Bettler von Profession. <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi> hatte Begriffe von Moralitaͤt, Schicklichkeit und Anstaͤndigkeit, jener wußte nichts von diesem allen. Letzlich war <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi> zwar von gesunder, aber<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [54/0056]
Der Aufseher kam, und hohlte ihn herein. Er blieb den Tag uͤber da, und freute sich in der Hoffnung recht krank zu werden, und auf diese Art einen laͤngern Aufenthalt zu erzwingen; waͤhrend welcher Zeit er mehrere Bekanntschaft zu machen glaubte, wodurch er Schutz und Erlaubniß in B. zu bleiben zu erhalten hoffte.
Aber er wurde in seiner Hoffnung getaͤuscht. Den folgenden Tag stand er wieder munter auf, ohne etwas Fieberhaftes zu spuͤren. Er mußte also fort. Aber wohin? das wußte er selbst nicht.
Er nahm also den ersten den besten Weg, und gieng, ohne zu wissen, wohin.
Am Abend kam er in ein Wirthshaus, wo er einen armen Fußgaͤnger, der ein Betteljude ex professo war, antraf. Es freuete ihn ungemein, einen seiner Mitbruͤder anzutreffen, mit dem er sprechen konnte, und dem diese Gegenden ziemlich bekannt waren.
Er entschloß sich daher, mit diesem Gesellschafter im Lande herumzustreichen, um auf diese Art sein Leben zu erhalten, obwohl keine solche heterogene Personen in der Welt anzutreffen sind. B. J. war ein gelehrter Rabbiner, jener hingegen ein Jdiot; B. J. hatte sich bis jetzt auf eine ehrenvolle Art ernaͤhrt, jener aber war ein Bettler von Profession. B. J. hatte Begriffe von Moralitaͤt, Schicklichkeit und Anstaͤndigkeit, jener wußte nichts von diesem allen. Letzlich war B. J. zwar von gesunder, aber
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/56>, abgerufen am 28.07.2024. |