Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.
Auf einmal merkte er aber zu seinem Leidwesen, daß Mamsell eine saure Miene zu machen, und das Gesicht zu verziehen anfing. Er wußte sich anfangs dieses nicht zu erklären; wie er aber darauf seinen Blick auf sich selbst und auf seine elende schmutzige Lumpenkleidung wandte, wurde ihm sogleich dieses ganze Geheimniß enträthselt. Die Beunruhigung der Mamsell hatte ihren guten Grund. Und wie konnte es auch anders seyn? Da er, seitdem er von K. abgereist war, ohngefähr seit sieben Wochen, kein frisches Hemde anzuziehn hatte, in den Wirthshäusern auf dem bloßen Strohe, worauf, wer weis, wie viel arme Reisende schon gelegen hatten, liegen mußte, u.s.w. Nun wurden ihm mit einemmal die Augen aufgethan, er übersahe auf einmal sein ganzes Elend. Aber was sollte er machen? Wie sollte er sich aus dieser mißlichen Lage heraushelfen? Endlich gelangte er in B. an. Hier glaubte er seinem Elende ein Ende zu machen, und alle seine Wünsche zu erreichen, worin er sich aber sehr betrog. Es gieng damit folgender Weise zu.
Auf einmal merkte er aber zu seinem Leidwesen, daß Mamsell eine saure Miene zu machen, und das Gesicht zu verziehen anfing. Er wußte sich anfangs dieses nicht zu erklaͤren; wie er aber darauf seinen Blick auf sich selbst und auf seine elende schmutzige Lumpenkleidung wandte, wurde ihm sogleich dieses ganze Geheimniß entraͤthselt. Die Beunruhigung der Mamsell hatte ihren guten Grund. Und wie konnte es auch anders seyn? Da er, seitdem er von K. abgereist war, ohngefaͤhr seit sieben Wochen, kein frisches Hemde anzuziehn hatte, in den Wirthshaͤusern auf dem bloßen Strohe, worauf, wer weis, wie viel arme Reisende schon gelegen hatten, liegen mußte, u.s.w. Nun wurden ihm mit einemmal die Augen aufgethan, er uͤbersahe auf einmal sein ganzes Elend. Aber was sollte er machen? Wie sollte er sich aus dieser mißlichen Lage heraushelfen? Endlich gelangte er in B. an. Hier glaubte er seinem Elende ein Ende zu machen, und alle seine Wuͤnsche zu erreichen, worin er sich aber sehr betrog. Es gieng damit folgender Weise zu. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0052" n="50"/><lb/> Maͤdchen von ohngefaͤhr zwoͤlf Jahren, und aufs Schoͤnste ausgeputzt.</p> <p><hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi> fing an, als Rabbiner einen sehr gelehrten und erbaulichen Diskurs zu fuͤhren, und je weniger Herr und Madam denselben verstanden, desto goͤttlicher kam er ihnen vor.</p> <p>Auf einmal merkte er aber zu seinem Leidwesen, daß Mamsell eine saure Miene zu machen, und das Gesicht zu verziehen anfing. Er wußte sich anfangs dieses nicht zu erklaͤren; wie er aber darauf seinen Blick auf sich selbst und auf seine elende schmutzige Lumpenkleidung wandte, wurde ihm sogleich dieses ganze Geheimniß entraͤthselt. Die Beunruhigung der Mamsell hatte ihren guten Grund. Und wie konnte es auch anders seyn? Da er, seitdem er von K. abgereist war, ohngefaͤhr seit sieben Wochen, kein frisches Hemde anzuziehn hatte, in den Wirthshaͤusern auf dem bloßen Strohe, worauf, wer weis, wie viel arme Reisende schon gelegen hatten, liegen mußte, u.s.w.</p> <p>Nun wurden ihm mit einemmal die Augen aufgethan, er uͤbersahe auf einmal sein ganzes Elend. Aber was sollte er machen? Wie sollte er sich aus dieser mißlichen Lage heraushelfen?</p> <p>Endlich gelangte er in B. an. Hier glaubte er seinem Elende ein Ende zu machen, und alle seine Wuͤnsche zu erreichen, worin er sich aber sehr betrog. Es gieng damit folgender Weise zu.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [50/0052]
Maͤdchen von ohngefaͤhr zwoͤlf Jahren, und aufs Schoͤnste ausgeputzt.
B. J. fing an, als Rabbiner einen sehr gelehrten und erbaulichen Diskurs zu fuͤhren, und je weniger Herr und Madam denselben verstanden, desto goͤttlicher kam er ihnen vor.
Auf einmal merkte er aber zu seinem Leidwesen, daß Mamsell eine saure Miene zu machen, und das Gesicht zu verziehen anfing. Er wußte sich anfangs dieses nicht zu erklaͤren; wie er aber darauf seinen Blick auf sich selbst und auf seine elende schmutzige Lumpenkleidung wandte, wurde ihm sogleich dieses ganze Geheimniß entraͤthselt. Die Beunruhigung der Mamsell hatte ihren guten Grund. Und wie konnte es auch anders seyn? Da er, seitdem er von K. abgereist war, ohngefaͤhr seit sieben Wochen, kein frisches Hemde anzuziehn hatte, in den Wirthshaͤusern auf dem bloßen Strohe, worauf, wer weis, wie viel arme Reisende schon gelegen hatten, liegen mußte, u.s.w.
Nun wurden ihm mit einemmal die Augen aufgethan, er uͤbersahe auf einmal sein ganzes Elend. Aber was sollte er machen? Wie sollte er sich aus dieser mißlichen Lage heraushelfen?
Endlich gelangte er in B. an. Hier glaubte er seinem Elende ein Ende zu machen, und alle seine Wuͤnsche zu erreichen, worin er sich aber sehr betrog. Es gieng damit folgender Weise zu.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/52>, abgerufen am 27.07.2024. |