Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.
No. 2. S. 10-18. Dieses Stück ist gewiß äusserst interessant. Das Herz blutet hier beim Lesen, zumal wenn man bedenkt, daß dieses bei weitem nicht das einzige Beispiel dieser Art ist. Soll ich meine Meinung darüber sagen, und mich der Verachtung und dem Hohngelächter eines sogenannten philosophischen Jahrhunderts aussetzen? Jch stände keinen Augenblick an, wenn diese Verachtung mich allein beträfe; aber sie fällt auf alles zurück, was ich nur sagen werde, es sey so vernünftig und gegründet als es nur wolle. Denn der Mensch ist nun einmal so: wer ihm in seiner Lieblingsmeinung widerspricht, findet auch in allen übrigen Stücken keinen Glauben. Jch schweige daher, und halte meine Gedanken über diesen Punkt zurück. Jch bitte nur auf folgende beide Umstände Acht zu haben. Der eine S. 15. "in dem Augenblick da der Mörder die so lange vorher durchdachte That begangen hat, fühlt er Reue;" und S. 17. "Niemals" -- -- -- "Alsdann rieb er sich
No. 2. S. 10-18. Dieses Stuͤck ist gewiß aͤusserst interessant. Das Herz blutet hier beim Lesen, zumal wenn man bedenkt, daß dieses bei weitem nicht das einzige Beispiel dieser Art ist. Soll ich meine Meinung daruͤber sagen, und mich der Verachtung und dem Hohngelaͤchter eines sogenannten philosophischen Jahrhunderts aussetzen? Jch staͤnde keinen Augenblick an, wenn diese Verachtung mich allein betraͤfe; aber sie faͤllt auf alles zuruͤck, was ich nur sagen werde, es sey so vernuͤnftig und gegruͤndet als es nur wolle. Denn der Mensch ist nun einmal so: wer ihm in seiner Lieblingsmeinung widerspricht, findet auch in allen uͤbrigen Stuͤcken keinen Glauben. Jch schweige daher, und halte meine Gedanken uͤber diesen Punkt zuruͤck. Jch bitte nur auf folgende beide Umstaͤnde Acht zu haben. Der eine S. 15. »in dem Augenblick da der Moͤrder die so lange vorher durchdachte That begangen hat, fuͤhlt er Reue;« und S. 17. »Niemals« — — — »Alsdann rieb er sich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0069" n="69"/><lb/> hat, indem sie zeigen wie die Empfindlichkeit eines Gelehrten im Umgange mit einem Menschen aus der gewoͤhnlichen Welt, oft aufs entsetzlichste beleidigt wird; denn bei den gewoͤhnlichsten und unbedeutendsten Handlungen, wo der alltaͤgliche Mensch gar nichts argwoͤhnt, wird der Gelehrte so lange gruͤbeln und sich den Kopf daruͤber zerbrechen, bis er irgend eine besondre Absicht hineingelegt hat; Jn demselben Falle war der arme <hi rendition="#b">Werther!</hi> </p> <p>No. 2. S. 10-18. Dieses Stuͤck ist gewiß aͤusserst interessant. Das Herz blutet hier beim Lesen, zumal wenn man bedenkt, daß dieses bei weitem nicht das einzige Beispiel dieser Art ist. Soll ich meine Meinung daruͤber sagen, und mich der Verachtung und dem Hohngelaͤchter eines sogenannten philosophischen Jahrhunderts aussetzen? Jch staͤnde keinen Augenblick an, wenn diese Verachtung mich allein betraͤfe; aber sie faͤllt auf alles zuruͤck, was ich nur sagen werde, es sey so vernuͤnftig und gegruͤndet als es nur wolle. Denn der Mensch ist nun einmal so: wer ihm in seiner Lieblingsmeinung widerspricht, findet auch in allen uͤbrigen Stuͤcken keinen Glauben. Jch schweige daher, und halte meine Gedanken uͤber diesen Punkt zuruͤck. Jch bitte nur auf folgende beide Umstaͤnde Acht zu haben. Der eine S. 15. »in dem Augenblick da der Moͤrder die <hi rendition="#b">so lange vorher durchdachte</hi> That begangen hat, fuͤhlt er <hi rendition="#b">Reue;«</hi> und S. 17. »Niemals« — — — »Alsdann rieb er sich<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0069]
hat, indem sie zeigen wie die Empfindlichkeit eines Gelehrten im Umgange mit einem Menschen aus der gewoͤhnlichen Welt, oft aufs entsetzlichste beleidigt wird; denn bei den gewoͤhnlichsten und unbedeutendsten Handlungen, wo der alltaͤgliche Mensch gar nichts argwoͤhnt, wird der Gelehrte so lange gruͤbeln und sich den Kopf daruͤber zerbrechen, bis er irgend eine besondre Absicht hineingelegt hat; Jn demselben Falle war der arme Werther!
No. 2. S. 10-18. Dieses Stuͤck ist gewiß aͤusserst interessant. Das Herz blutet hier beim Lesen, zumal wenn man bedenkt, daß dieses bei weitem nicht das einzige Beispiel dieser Art ist. Soll ich meine Meinung daruͤber sagen, und mich der Verachtung und dem Hohngelaͤchter eines sogenannten philosophischen Jahrhunderts aussetzen? Jch staͤnde keinen Augenblick an, wenn diese Verachtung mich allein betraͤfe; aber sie faͤllt auf alles zuruͤck, was ich nur sagen werde, es sey so vernuͤnftig und gegruͤndet als es nur wolle. Denn der Mensch ist nun einmal so: wer ihm in seiner Lieblingsmeinung widerspricht, findet auch in allen uͤbrigen Stuͤcken keinen Glauben. Jch schweige daher, und halte meine Gedanken uͤber diesen Punkt zuruͤck. Jch bitte nur auf folgende beide Umstaͤnde Acht zu haben. Der eine S. 15. »in dem Augenblick da der Moͤrder die so lange vorher durchdachte That begangen hat, fuͤhlt er Reue;« und S. 17. »Niemals« — — — »Alsdann rieb er sich
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/69>, abgerufen am 17.02.2025. |