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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.

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Jahrhunderts Ludwigs des vierzehnten sprechen. Nach ihr folgt die zweite Hofdame der Königinn, von welcher diese in ihren eben erschienenen Briefen erzählt.

Der Herzog von Selly war ebenfalls dergleichen Abwesenheiten unterworfen, die so weit gingen, daß er öfters ohne Beinkleider zur Messe ging. Der verstorbene General Burmanix, Adjutant des verstorbenen Prinzen von Oranien, stieg zu Pferde, völlig gekleidet, aber ohne Beinkleider.

Newton war nicht weniger zerstreut. Er hatte eines Tages jemanden zum Mittagbrodt eingeladen, und blieb in seinem Zimmer beim Kalkuliren. Der Bediente entschuldiget seinen Herrn bei dem Fremden, sagt, daß er es nicht wage, ihn zu rufen; er wolle aber indessen die Suppe auftragen.

Der Eingeladene wartet noch ein wenig, ißt alsdann die Suppe, und schiebt die leere Schüssel in die Mitte des Tisches. Hierauf erscheint Newton, bittet seinen Freund um Verzeihung, und, mit den Worten: "Kommen Sie, kommen Sie, wir wollen geschwinde essen" faltet er die Hände zum Beten*), öffnet dann die Schüssel, und ruft voll Unwillen aus: "Welche Zerstreuung! hatte ich doch gar vergessen, daß ich schon die Suppe zu mir genommen!"


*) Newton war noch bürgerlich genug, um vor Tische zu beten.


Jahrhunderts Ludwigs des vierzehnten sprechen. Nach ihr folgt die zweite Hofdame der Koͤniginn, von welcher diese in ihren eben erschienenen Briefen erzaͤhlt.

Der Herzog von Selly war ebenfalls dergleichen Abwesenheiten unterworfen, die so weit gingen, daß er oͤfters ohne Beinkleider zur Messe ging. Der verstorbene General Burmanix, Adjutant des verstorbenen Prinzen von Oranien, stieg zu Pferde, voͤllig gekleidet, aber ohne Beinkleider.

Newton war nicht weniger zerstreut. Er hatte eines Tages jemanden zum Mittagbrodt eingeladen, und blieb in seinem Zimmer beim Kalkuliren. Der Bediente entschuldiget seinen Herrn bei dem Fremden, sagt, daß er es nicht wage, ihn zu rufen; er wolle aber indessen die Suppe auftragen.

Der Eingeladene wartet noch ein wenig, ißt alsdann die Suppe, und schiebt die leere Schuͤssel in die Mitte des Tisches. Hierauf erscheint Newton, bittet seinen Freund um Verzeihung, und, mit den Worten: »Kommen Sie, kommen Sie, wir wollen geschwinde essen« faltet er die Haͤnde zum Beten*), oͤffnet dann die Schuͤssel, und ruft voll Unwillen aus: »Welche Zerstreuung! hatte ich doch gar vergessen, daß ich schon die Suppe zu mir genommen!«


*) Newton war noch buͤrgerlich genug, um vor Tische zu beten.
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[59/0059] Jahrhunderts Ludwigs des vierzehnten sprechen. Nach ihr folgt die zweite Hofdame der Koͤniginn, von welcher diese in ihren eben erschienenen Briefen erzaͤhlt. Der Herzog von Selly war ebenfalls dergleichen Abwesenheiten unterworfen, die so weit gingen, daß er oͤfters ohne Beinkleider zur Messe ging. Der verstorbene General Burmanix, Adjutant des verstorbenen Prinzen von Oranien, stieg zu Pferde, voͤllig gekleidet, aber ohne Beinkleider. Newton war nicht weniger zerstreut. Er hatte eines Tages jemanden zum Mittagbrodt eingeladen, und blieb in seinem Zimmer beim Kalkuliren. Der Bediente entschuldiget seinen Herrn bei dem Fremden, sagt, daß er es nicht wage, ihn zu rufen; er wolle aber indessen die Suppe auftragen. Der Eingeladene wartet noch ein wenig, ißt alsdann die Suppe, und schiebt die leere Schuͤssel in die Mitte des Tisches. Hierauf erscheint Newton, bittet seinen Freund um Verzeihung, und, mit den Worten: »Kommen Sie, kommen Sie, wir wollen geschwinde essen« faltet er die Haͤnde zum Beten*) , oͤffnet dann die Schuͤssel, und ruft voll Unwillen aus: »Welche Zerstreuung! hatte ich doch gar vergessen, daß ich schon die Suppe zu mir genommen!« *) Newton war noch buͤrgerlich genug, um vor Tische zu beten.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/59>, abgerufen am 23.11.2024.