Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.
S. 45. f. Eine noch alltäglichere Erfahrung, die nur alsdann interessant wird, wenn man sie allgemein, und zu einem Kapitel in der Seelenheilkunde macht. Es ist ein bewährtes Mittel gegen den Zorn, sich niederzusetzen. Man verstärkt ihn durch das Aufstehen, wenn man schon gesessen hat; und er steigt noch mehr, wenn man einige Schritte vorwärts thut u.s.w. Ueberhaupt besänftiget das Sitzen jeden starken Affekt, und die Bewegung bringet ihn wiederum in Aufruhr. Die Ruhe des Körpers theilet sich der Seele mit. S. 46. f. S. 47. Sehr wahr! Jch bin überzeugt, daß die Wahl des Zimmers, worinn man den größten Theil seiner Zeit zubringet -- ob es heiter oder finster, hoch oder niedrig, hell oder dunkel, ruhig oder geräuschvoll, so oder anders meublirt ist -- einen so großen Einfluß auf die Laune und daher in der Folge auf den Charakter hat, daß es diesen nicht nur modifiziret, sondern sogar als ein sehr gutes Mittel dienen kann, ihm eine ganz andere Richtung zu geben. Nach diesem Prinzip schließt man die zügellose Jugend ein, und arretiret übermüthige Militairspersonen; denn die Beraubung der Freiheit macht eben nicht den stärksten Eindruck; der Anblick des Gefängnisses thut weit mehr, ohne daß man es vermuthen sollte.
S. 45. f. Eine noch alltaͤglichere Erfahrung, die nur alsdann interessant wird, wenn man sie allgemein, und zu einem Kapitel in der Seelenheilkunde macht. Es ist ein bewaͤhrtes Mittel gegen den Zorn, sich niederzusetzen. Man verstaͤrkt ihn durch das Aufstehen, wenn man schon gesessen hat; und er steigt noch mehr, wenn man einige Schritte vorwaͤrts thut u.s.w. Ueberhaupt besaͤnftiget das Sitzen jeden starken Affekt, und die Bewegung bringet ihn wiederum in Aufruhr. Die Ruhe des Koͤrpers theilet sich der Seele mit. S. 46. f. S. 47. Sehr wahr! Jch bin uͤberzeugt, daß die Wahl des Zimmers, worinn man den groͤßten Theil seiner Zeit zubringet — ob es heiter oder finster, hoch oder niedrig, hell oder dunkel, ruhig oder geraͤuschvoll, so oder anders meublirt ist — einen so großen Einfluß auf die Laune und daher in der Folge auf den Charakter hat, daß es diesen nicht nur modifiziret, sondern sogar als ein sehr gutes Mittel dienen kann, ihm eine ganz andere Richtung zu geben. Nach diesem Prinzip schließt man die zuͤgellose Jugend ein, und arretiret uͤbermuͤthige Militairspersonen; denn die Beraubung der Freiheit macht eben nicht den staͤrksten Eindruck; der Anblick des Gefaͤngnisses thut weit mehr, ohne daß man es vermuthen sollte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0057" n="57"/><lb/> Menschen jemals der nehmliche Fall mit einem <hi rendition="#b">prosaischen</hi> Stuͤcke erschienen. </p> <p>S. 45. f. Eine noch alltaͤglichere Erfahrung, die nur alsdann interessant wird, wenn man sie allgemein, und zu einem Kapitel in der <hi rendition="#b">Seelenheilkunde</hi> macht. Es ist ein bewaͤhrtes Mittel gegen den Zorn, sich niederzusetzen. Man verstaͤrkt ihn durch das Aufstehen, wenn man schon gesessen hat; und er steigt noch mehr, wenn man einige Schritte vorwaͤrts thut u.s.w. Ueberhaupt besaͤnftiget das Sitzen jeden starken Affekt, und die Bewegung bringet ihn wiederum in Aufruhr. Die Ruhe des Koͤrpers theilet sich der Seele mit. </p> <p>S. 46. f. S. 47. Sehr wahr! Jch bin uͤberzeugt, daß die Wahl des Zimmers, worinn man den groͤßten Theil seiner Zeit zubringet — ob es heiter oder finster, hoch oder niedrig, hell oder dunkel, ruhig oder geraͤuschvoll, so oder anders meublirt ist — einen so großen Einfluß auf die Laune und daher in der Folge auf den Charakter hat, daß es diesen nicht nur modifiziret, sondern sogar als ein sehr gutes Mittel dienen kann, ihm eine ganz andere Richtung zu geben. </p> <p>Nach diesem Prinzip schließt man die zuͤgellose Jugend ein, und arretiret uͤbermuͤthige Militairspersonen; denn die Beraubung der Freiheit macht eben nicht den staͤrksten Eindruck; der Anblick des Gefaͤngnisses thut weit mehr, ohne daß man es vermuthen sollte.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [57/0057]
Menschen jemals der nehmliche Fall mit einem prosaischen Stuͤcke erschienen.
S. 45. f. Eine noch alltaͤglichere Erfahrung, die nur alsdann interessant wird, wenn man sie allgemein, und zu einem Kapitel in der Seelenheilkunde macht. Es ist ein bewaͤhrtes Mittel gegen den Zorn, sich niederzusetzen. Man verstaͤrkt ihn durch das Aufstehen, wenn man schon gesessen hat; und er steigt noch mehr, wenn man einige Schritte vorwaͤrts thut u.s.w. Ueberhaupt besaͤnftiget das Sitzen jeden starken Affekt, und die Bewegung bringet ihn wiederum in Aufruhr. Die Ruhe des Koͤrpers theilet sich der Seele mit.
S. 46. f. S. 47. Sehr wahr! Jch bin uͤberzeugt, daß die Wahl des Zimmers, worinn man den groͤßten Theil seiner Zeit zubringet — ob es heiter oder finster, hoch oder niedrig, hell oder dunkel, ruhig oder geraͤuschvoll, so oder anders meublirt ist — einen so großen Einfluß auf die Laune und daher in der Folge auf den Charakter hat, daß es diesen nicht nur modifiziret, sondern sogar als ein sehr gutes Mittel dienen kann, ihm eine ganz andere Richtung zu geben.
Nach diesem Prinzip schließt man die zuͤgellose Jugend ein, und arretiret uͤbermuͤthige Militairspersonen; denn die Beraubung der Freiheit macht eben nicht den staͤrksten Eindruck; der Anblick des Gefaͤngnisses thut weit mehr, ohne daß man es vermuthen sollte.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/57>, abgerufen am 17.02.2025. |