Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.
Die Frage: ob die Sinne uns täuschen können, hat, wie ich dafür halte gar keine Bedeutung; denn soll es z.B. heissen: ist der Zucker, der mir süße schmekt, auch an sich (das Substratum dieser Empfindung) ausser meinem Empfindungsvermögen süße, so enthält es einen Widerspruch, daß nehmlich etwas ausser dem Empfindungsvermögen dennoch Empfindung sey; ist aber die Bedeutung davon diese, ob der süße Geschmack den ich mit der weissen Farbe u.s.w. verknüpft in dem Zucker wahrnehme, beständig damit verknüpft sey oder nicht, so ist im letztern Falle hier wiederum keine Täuschung, denn ein Gegenstand der die weisse Farbe, und die übrigen Eigenschaften des Zuckers ausser dem süßen Geschmacke hat, ist so wenig Zucker als das Platina Gold ist.
Die Frage: ob die Sinne uns taͤuschen koͤnnen, hat, wie ich dafuͤr halte gar keine Bedeutung; denn soll es z.B. heissen: ist der Zucker, der mir suͤße schmekt, auch an sich (das Substratum dieser Empfindung) ausser meinem Empfindungsvermoͤgen suͤße, so enthaͤlt es einen Widerspruch, daß nehmlich etwas ausser dem Empfindungsvermoͤgen dennoch Empfindung sey; ist aber die Bedeutung davon diese, ob der suͤße Geschmack den ich mit der weissen Farbe u.s.w. verknuͤpft in dem Zucker wahrnehme, bestaͤndig damit verknuͤpft sey oder nicht, so ist im letztern Falle hier wiederum keine Taͤuschung, denn ein Gegenstand der die weisse Farbe, und die uͤbrigen Eigenschaften des Zuckers ausser dem suͤßen Geschmacke hat, ist so wenig Zucker als das Platina Gold ist. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0040" n="40"/><lb/> eines Pfau das Gold selbst zu erblicken; daher bellt ein Hund den Spiegel an, in dem er einen andern Hund zu erblicken glaubt, daher findet eine Henne keinen Anstoß, wenn man ihr aus Kreide verfertigte Eier stat der ihrigen unterlegt u.d.gl. mehr. Bei einem vernuͤnftigen Menschen geschieht dieses entweder auf eben dieselbe Art, oder es koͤmmt noch ein falsches Urtheil hinzu, dieses nehmlich, was (in Ansehung einer Erfahrung) <hi rendition="#b">bestaͤndig</hi> ist, ist an sich <hi rendition="#b">nothwendig,</hi> welches wiederum auf einer falschen Umkehrung eines wahren Satzes; nehmlich: was an sich nothwendig ist, muß auch in Ansehung unserer Wahrnehmung bestaͤndig seyn, beruht. </p> <p>Die Frage: ob die Sinne uns taͤuschen koͤnnen, hat, wie ich dafuͤr halte gar keine Bedeutung; denn soll es z.B. heissen: ist der Zucker, der <hi rendition="#b">mir</hi> suͤße schmekt, auch <hi rendition="#b">an sich</hi> (das Substratum dieser Empfindung) ausser meinem Empfindungsvermoͤgen suͤße, so enthaͤlt es einen Widerspruch, daß nehmlich etwas ausser dem Empfindungsvermoͤgen dennoch Empfindung sey; ist aber die Bedeutung davon diese, ob der suͤße Geschmack den ich mit der weissen Farbe u.s.w. verknuͤpft in dem Zucker wahrnehme, bestaͤndig damit verknuͤpft sey oder nicht, so ist im letztern Falle hier wiederum keine Taͤuschung, denn ein Gegenstand der die weisse Farbe, und die uͤbrigen Eigenschaften des Zuckers ausser dem suͤßen Geschmacke hat, ist so wenig Zucker als das Platina Gold ist. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [40/0040]
eines Pfau das Gold selbst zu erblicken; daher bellt ein Hund den Spiegel an, in dem er einen andern Hund zu erblicken glaubt, daher findet eine Henne keinen Anstoß, wenn man ihr aus Kreide verfertigte Eier stat der ihrigen unterlegt u.d.gl. mehr. Bei einem vernuͤnftigen Menschen geschieht dieses entweder auf eben dieselbe Art, oder es koͤmmt noch ein falsches Urtheil hinzu, dieses nehmlich, was (in Ansehung einer Erfahrung) bestaͤndig ist, ist an sich nothwendig, welches wiederum auf einer falschen Umkehrung eines wahren Satzes; nehmlich: was an sich nothwendig ist, muß auch in Ansehung unserer Wahrnehmung bestaͤndig seyn, beruht.
Die Frage: ob die Sinne uns taͤuschen koͤnnen, hat, wie ich dafuͤr halte gar keine Bedeutung; denn soll es z.B. heissen: ist der Zucker, der mir suͤße schmekt, auch an sich (das Substratum dieser Empfindung) ausser meinem Empfindungsvermoͤgen suͤße, so enthaͤlt es einen Widerspruch, daß nehmlich etwas ausser dem Empfindungsvermoͤgen dennoch Empfindung sey; ist aber die Bedeutung davon diese, ob der suͤße Geschmack den ich mit der weissen Farbe u.s.w. verknuͤpft in dem Zucker wahrnehme, bestaͤndig damit verknuͤpft sey oder nicht, so ist im letztern Falle hier wiederum keine Taͤuschung, denn ein Gegenstand der die weisse Farbe, und die uͤbrigen Eigenschaften des Zuckers ausser dem suͤßen Geschmacke hat, ist so wenig Zucker als das Platina Gold ist.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/40>, abgerufen am 16.02.2025. |