Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.Jch enthalte mich, ein mehreres hierüber hinzuzufügen, da die Hauptsache sehr bekannt ist, und zur Erklärung des Truges, welcher in den täuschenden Zuständen in uns vorgehet, fast allgemein angewandt wird. Jch begnüge mich, blos zu bemerken, daß wir alle Vorstellungen, welche uns die Einbildungskraft, und mithin auch die überspannte Einbildungskraft liefert, für das was sie sind, für Gedankendinge halten müssen, wenn wir nicht in dem Augenblicke in welchem uns das eingebildete Ding vor Augen schwebt, selbst die Spur der vorhergegangenen Jdeenreihe, daher es entstanden ist, verloren haben. Die Gründe welche für die Nothwendigkeit einer Reihenabbrechung zur Vorstellung einer Wirklichkeit vorgetragen worden, beweisen dieses noch um so mehr, wenn sie auf unstreitige Gedankendinge, auf die Bilder der Einbildungskraft angewandt werden. Es stehet also fest: die Abbrechung von der vorhergegangenen Gedankenreihe ist eine Bedingung, ohne welche wir in keinem Falle etwas als ausser uns wirklich annehmen; und, daß ich es im Vorbeigehn bemerke, in Absicht der Vorstellung unsers eignen Daseyns verhält es sich gerade umgekehrt. Der Mensch vergißt, so zu sagen, sein eignes Jch, wenn er so sehr von Gegenstand zu Gegenstand eilt, daß ihm die innere Gedankenreihe abgebrochen scheinen muß. Jch enthalte mich, ein mehreres hieruͤber hinzuzufuͤgen, da die Hauptsache sehr bekannt ist, und zur Erklaͤrung des Truges, welcher in den taͤuschenden Zustaͤnden in uns vorgehet, fast allgemein angewandt wird. Jch begnuͤge mich, blos zu bemerken, daß wir alle Vorstellungen, welche uns die Einbildungskraft, und mithin auch die uͤberspannte Einbildungskraft liefert, fuͤr das was sie sind, fuͤr Gedankendinge halten muͤssen, wenn wir nicht in dem Augenblicke in welchem uns das eingebildete Ding vor Augen schwebt, selbst die Spur der vorhergegangenen Jdeenreihe, daher es entstanden ist, verloren haben. Die Gruͤnde welche fuͤr die Nothwendigkeit einer Reihenabbrechung zur Vorstellung einer Wirklichkeit vorgetragen worden, beweisen dieses noch um so mehr, wenn sie auf unstreitige Gedankendinge, auf die Bilder der Einbildungskraft angewandt werden. Es stehet also fest: die Abbrechung von der vorhergegangenen Gedankenreihe ist eine Bedingung, ohne welche wir in keinem Falle etwas als ausser uns wirklich annehmen; und, daß ich es im Vorbeigehn bemerke, in Absicht der Vorstellung unsers eignen Daseyns verhaͤlt es sich gerade umgekehrt. Der Mensch vergißt, so zu sagen, sein eignes Jch, wenn er so sehr von Gegenstand zu Gegenstand eilt, daß ihm die innere Gedankenreihe abgebrochen scheinen muß. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0024" n="24"/><lb/> <p>Jch enthalte mich, ein mehreres hieruͤber hinzuzufuͤgen, da die Hauptsache sehr bekannt ist, und zur Erklaͤrung des Truges, welcher in den taͤuschenden Zustaͤnden in uns vorgehet, fast allgemein angewandt wird. </p> <p>Jch begnuͤge mich, blos zu bemerken, daß wir alle Vorstellungen, welche uns die Einbildungskraft, und mithin auch die uͤberspannte Einbildungskraft liefert, fuͤr das was sie sind, fuͤr Gedankendinge halten muͤssen, wenn wir nicht in dem Augenblicke in welchem uns das eingebildete Ding vor Augen schwebt, selbst die Spur der vorhergegangenen Jdeenreihe, daher es entstanden ist, verloren haben. </p> <p>Die Gruͤnde welche fuͤr die Nothwendigkeit einer Reihenabbrechung zur Vorstellung einer Wirklichkeit vorgetragen worden, beweisen dieses noch um so mehr, wenn sie auf unstreitige Gedankendinge, auf die Bilder der Einbildungskraft angewandt werden. </p> <p>Es stehet also fest: die Abbrechung von der vorhergegangenen Gedankenreihe ist eine Bedingung, ohne welche wir in keinem Falle etwas als ausser uns wirklich annehmen; und, daß ich es im Vorbeigehn bemerke, in Absicht der Vorstellung unsers eignen Daseyns verhaͤlt es sich gerade umgekehrt. Der Mensch vergißt, so zu sagen, sein eignes Jch, wenn er so sehr von Gegenstand zu Gegenstand eilt, daß ihm die innere Gedankenreihe abgebrochen scheinen muß. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [24/0024]
Jch enthalte mich, ein mehreres hieruͤber hinzuzufuͤgen, da die Hauptsache sehr bekannt ist, und zur Erklaͤrung des Truges, welcher in den taͤuschenden Zustaͤnden in uns vorgehet, fast allgemein angewandt wird.
Jch begnuͤge mich, blos zu bemerken, daß wir alle Vorstellungen, welche uns die Einbildungskraft, und mithin auch die uͤberspannte Einbildungskraft liefert, fuͤr das was sie sind, fuͤr Gedankendinge halten muͤssen, wenn wir nicht in dem Augenblicke in welchem uns das eingebildete Ding vor Augen schwebt, selbst die Spur der vorhergegangenen Jdeenreihe, daher es entstanden ist, verloren haben.
Die Gruͤnde welche fuͤr die Nothwendigkeit einer Reihenabbrechung zur Vorstellung einer Wirklichkeit vorgetragen worden, beweisen dieses noch um so mehr, wenn sie auf unstreitige Gedankendinge, auf die Bilder der Einbildungskraft angewandt werden.
Es stehet also fest: die Abbrechung von der vorhergegangenen Gedankenreihe ist eine Bedingung, ohne welche wir in keinem Falle etwas als ausser uns wirklich annehmen; und, daß ich es im Vorbeigehn bemerke, in Absicht der Vorstellung unsers eignen Daseyns verhaͤlt es sich gerade umgekehrt. Der Mensch vergißt, so zu sagen, sein eignes Jch, wenn er so sehr von Gegenstand zu Gegenstand eilt, daß ihm die innere Gedankenreihe abgebrochen scheinen muß.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/24>, abgerufen am 16.02.2025. |