Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.Diese Scene hielt ihn hin, daß er sich eine Zeitlang den Zustand, worin er war, mit einer Art von Wollust dachte, bis auch dies Gefühl abgestumpft wurde, und ihm nun am Ende nichts als die leere Würklichkeit übrig blieb, welche ihn in ein lautes Hohngelächter über sich selbst ausbrechen ließ. Jn dieser Stimmung kehrte er wieder zu dem alten Dom zurück, der nun schon eröfnet war, und wo die Chorherren sich zur Frühmette bei Licht versammleten. Das alte gothische Gebäude, die wenigen Lichter, der Widerschein von den hohen Fenstern, machten auf R..., der die ganze Nacht umher geirrt war, und sich hier auf eine Bank niedersetzte, einen wunderbaren Eindruck. Er war, wie in einer Behausung, vor dem Regen geschützt, und doch war dies keine Wohnung für die Lebenden. Wer vor dem Leben selber eine Freistatt suchte, den schien dies dunkle Gewölbe einzuladen, und wer eine Nacht, wie R... die vergangene, durchlebt hatte, konnte wohl geneigt seyn, diesem Rufe zu folgen. R... fühlte sich auf der Bank im Dom in eine Art von Abgeschiedenheit und Stille versetzt, die etwas unbeschreiblich Angenehmes für ihn hatte, die ihn auf einmal allen Sorgen und allem Gram entrückte, und ihn das Vergangene vergessen machte. Diese Scene hielt ihn hin, daß er sich eine Zeitlang den Zustand, worin er war, mit einer Art von Wollust dachte, bis auch dies Gefuͤhl abgestumpft wurde, und ihm nun am Ende nichts als die leere Wuͤrklichkeit uͤbrig blieb, welche ihn in ein lautes Hohngelaͤchter uͤber sich selbst ausbrechen ließ. Jn dieser Stimmung kehrte er wieder zu dem alten Dom zuruͤck, der nun schon eroͤfnet war, und wo die Chorherren sich zur Fruͤhmette bei Licht versammleten. Das alte gothische Gebaͤude, die wenigen Lichter, der Widerschein von den hohen Fenstern, machten auf R..., der die ganze Nacht umher geirrt war, und sich hier auf eine Bank niedersetzte, einen wunderbaren Eindruck. Er war, wie in einer Behausung, vor dem Regen geschuͤtzt, und doch war dies keine Wohnung fuͤr die Lebenden. Wer vor dem Leben selber eine Freistatt suchte, den schien dies dunkle Gewoͤlbe einzuladen, und wer eine Nacht, wie R... die vergangene, durchlebt hatte, konnte wohl geneigt seyn, diesem Rufe zu folgen. R... fuͤhlte sich auf der Bank im Dom in eine Art von Abgeschiedenheit und Stille versetzt, die etwas unbeschreiblich Angenehmes fuͤr ihn hatte, die ihn auf einmal allen Sorgen und allem Gram entruͤckte, und ihn das Vergangene vergessen machte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0116" n="116"/><lb/> <p>Diese Scene hielt ihn hin, daß er sich eine Zeitlang den Zustand, worin er war, mit einer Art von Wollust dachte, bis auch dies Gefuͤhl abgestumpft wurde, und ihm nun am Ende nichts als die leere Wuͤrklichkeit uͤbrig blieb, welche ihn in ein lautes Hohngelaͤchter uͤber sich selbst ausbrechen ließ. </p> <p>Jn dieser Stimmung kehrte er wieder zu dem alten Dom zuruͤck, der nun schon eroͤfnet war, und wo die Chorherren sich zur Fruͤhmette bei Licht versammleten. </p> <p>Das alte gothische Gebaͤude, die wenigen Lichter, der Widerschein von den hohen Fenstern, machten auf R..., der die ganze Nacht umher geirrt war, und sich hier auf eine Bank niedersetzte, einen wunderbaren Eindruck. </p> <p>Er war, wie in einer Behausung, vor dem Regen geschuͤtzt, und doch war dies keine Wohnung fuͤr die Lebenden. </p> <p>Wer vor dem Leben selber eine Freistatt suchte, den schien dies dunkle Gewoͤlbe einzuladen, und wer eine Nacht, wie R... die vergangene, durchlebt hatte, konnte wohl geneigt seyn, diesem Rufe zu folgen. </p> <p>R... fuͤhlte sich auf der Bank im Dom in eine Art von Abgeschiedenheit und Stille versetzt, die etwas unbeschreiblich Angenehmes fuͤr ihn hatte, die ihn auf einmal allen Sorgen und allem Gram entruͤckte, und ihn das Vergangene vergessen machte. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [116/0116]
Diese Scene hielt ihn hin, daß er sich eine Zeitlang den Zustand, worin er war, mit einer Art von Wollust dachte, bis auch dies Gefuͤhl abgestumpft wurde, und ihm nun am Ende nichts als die leere Wuͤrklichkeit uͤbrig blieb, welche ihn in ein lautes Hohngelaͤchter uͤber sich selbst ausbrechen ließ.
Jn dieser Stimmung kehrte er wieder zu dem alten Dom zuruͤck, der nun schon eroͤfnet war, und wo die Chorherren sich zur Fruͤhmette bei Licht versammleten.
Das alte gothische Gebaͤude, die wenigen Lichter, der Widerschein von den hohen Fenstern, machten auf R..., der die ganze Nacht umher geirrt war, und sich hier auf eine Bank niedersetzte, einen wunderbaren Eindruck.
Er war, wie in einer Behausung, vor dem Regen geschuͤtzt, und doch war dies keine Wohnung fuͤr die Lebenden.
Wer vor dem Leben selber eine Freistatt suchte, den schien dies dunkle Gewoͤlbe einzuladen, und wer eine Nacht, wie R... die vergangene, durchlebt hatte, konnte wohl geneigt seyn, diesem Rufe zu folgen.
R... fuͤhlte sich auf der Bank im Dom in eine Art von Abgeschiedenheit und Stille versetzt, die etwas unbeschreiblich Angenehmes fuͤr ihn hatte, die ihn auf einmal allen Sorgen und allem Gram entruͤckte, und ihn das Vergangene vergessen machte.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/116>, abgerufen am 16.02.2025. |