Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite


trübt über ihren Tod war, ob sie gleich im Leben so oft uneinig mit einander gewesen waren. Daß die vorher bei der Mystik gezeigte Härte ihm nicht wesentlich, sondern von ihm gegen sein Gefühl aus religiösem Eifer affektirt gewesen war, und er im Grunde ein gefühlvolles gutes Herz hatte, zeigte sich in der Folge noch zu mehrernmalen, indem er, wenn er jemanden leiden sah, nicht allein ein aufrichtiges Mitleiden äußerte, und wenn er jemand worin helfen konnte, sich eine wahre Freude daraus machte, sondern auch durch das Elend eines fremden Menschen, oder eine gute und großmüthige Handlung bis zu Thränen gerührt werden konnte, ja daß eine rührende Stelle in einem Buche ihm Thränen auszupressen vermochte.

Er beklagte also den Tod seiner Ehegenossin, aber indem er dieses that, dachte er auch mit Ernst an seinen Tod. Denn sein Hauptwunsch war nunmehr, dermaleinst so sterben zu können, daß er niemandem etwas schuldig bliebe und niemand hinterließe, der durch seinen Tod in eine traurige Lage versetzt würde, damit er auf seinem Todbette darüber keine quälende und beunruhigende Gedanken haben möchte. -- Sein erstes Augenmerk war nun die Bezahlung seiner Schulden.

Hiezu war kein anderes Mittel für ihn, als vorzüglich Sparsamkeit und Einschränkung, und dann hatte er noch seine beiden jüngsten Söhne bei sich, welche er Musik gelehrt hatte. Da er nun


truͤbt uͤber ihren Tod war, ob sie gleich im Leben so oft uneinig mit einander gewesen waren. Daß die vorher bei der Mystik gezeigte Haͤrte ihm nicht wesentlich, sondern von ihm gegen sein Gefuͤhl aus religioͤsem Eifer affektirt gewesen war, und er im Grunde ein gefuͤhlvolles gutes Herz hatte, zeigte sich in der Folge noch zu mehrernmalen, indem er, wenn er jemanden leiden sah, nicht allein ein aufrichtiges Mitleiden aͤußerte, und wenn er jemand worin helfen konnte, sich eine wahre Freude daraus machte, sondern auch durch das Elend eines fremden Menschen, oder eine gute und großmuͤthige Handlung bis zu Thraͤnen geruͤhrt werden konnte, ja daß eine ruͤhrende Stelle in einem Buche ihm Thraͤnen auszupressen vermochte.

Er beklagte also den Tod seiner Ehegenossin, aber indem er dieses that, dachte er auch mit Ernst an seinen Tod. Denn sein Hauptwunsch war nunmehr, dermaleinst so sterben zu koͤnnen, daß er niemandem etwas schuldig bliebe und niemand hinterließe, der durch seinen Tod in eine traurige Lage versetzt wuͤrde, damit er auf seinem Todbette daruͤber keine quaͤlende und beunruhigende Gedanken haben moͤchte. — Sein erstes Augenmerk war nun die Bezahlung seiner Schulden.

Hiezu war kein anderes Mittel fuͤr ihn, als vorzuͤglich Sparsamkeit und Einschraͤnkung, und dann hatte er noch seine beiden juͤngsten Soͤhne bei sich, welche er Musik gelehrt hatte. Da er nun

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0084" n="84"/><lb/>
tru&#x0364;bt u&#x0364;ber ihren Tod war, ob sie gleich im Leben                         so oft uneinig mit einander gewesen waren. Daß die vorher bei der Mystik                         gezeigte Ha&#x0364;rte ihm nicht wesentlich, sondern von ihm gegen sein Gefu&#x0364;hl aus                         religio&#x0364;sem Eifer affektirt gewesen war, und er im Grunde ein gefu&#x0364;hlvolles                         gutes Herz hatte, zeigte sich in der Folge noch zu mehrernmalen, indem er,                         wenn er jemanden leiden sah, nicht allein ein aufrichtiges Mitleiden                         a&#x0364;ußerte, und wenn er jemand worin helfen konnte, sich eine wahre Freude                         daraus machte, sondern auch durch das Elend eines fremden Menschen, oder                         eine gute und großmu&#x0364;thige Handlung bis zu Thra&#x0364;nen geru&#x0364;hrt werden konnte, ja                         daß eine ru&#x0364;hrende Stelle in einem Buche ihm Thra&#x0364;nen auszupressen vermochte. </p>
            <p>Er beklagte also den Tod seiner Ehegenossin, aber indem er dieses that,                         dachte er auch mit Ernst an seinen Tod. Denn sein Hauptwunsch war nunmehr,                         dermaleinst so sterben zu ko&#x0364;nnen, daß er niemandem etwas schuldig bliebe und                         niemand hinterließe, der durch seinen Tod in eine traurige Lage versetzt                         wu&#x0364;rde, damit er auf seinem Todbette daru&#x0364;ber keine qua&#x0364;lende und beunruhigende                         Gedanken haben mo&#x0364;chte. &#x2014; Sein erstes Augenmerk war nun die Bezahlung seiner                         Schulden. </p>
            <p>Hiezu war kein anderes Mittel fu&#x0364;r ihn, als vorzu&#x0364;glich Sparsamkeit und                         Einschra&#x0364;nkung, und dann hatte er noch seine beiden ju&#x0364;ngsten So&#x0364;hne bei sich,                         welche er Musik gelehrt hatte. Da er nun<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0084] truͤbt uͤber ihren Tod war, ob sie gleich im Leben so oft uneinig mit einander gewesen waren. Daß die vorher bei der Mystik gezeigte Haͤrte ihm nicht wesentlich, sondern von ihm gegen sein Gefuͤhl aus religioͤsem Eifer affektirt gewesen war, und er im Grunde ein gefuͤhlvolles gutes Herz hatte, zeigte sich in der Folge noch zu mehrernmalen, indem er, wenn er jemanden leiden sah, nicht allein ein aufrichtiges Mitleiden aͤußerte, und wenn er jemand worin helfen konnte, sich eine wahre Freude daraus machte, sondern auch durch das Elend eines fremden Menschen, oder eine gute und großmuͤthige Handlung bis zu Thraͤnen geruͤhrt werden konnte, ja daß eine ruͤhrende Stelle in einem Buche ihm Thraͤnen auszupressen vermochte. Er beklagte also den Tod seiner Ehegenossin, aber indem er dieses that, dachte er auch mit Ernst an seinen Tod. Denn sein Hauptwunsch war nunmehr, dermaleinst so sterben zu koͤnnen, daß er niemandem etwas schuldig bliebe und niemand hinterließe, der durch seinen Tod in eine traurige Lage versetzt wuͤrde, damit er auf seinem Todbette daruͤber keine quaͤlende und beunruhigende Gedanken haben moͤchte. — Sein erstes Augenmerk war nun die Bezahlung seiner Schulden. Hiezu war kein anderes Mittel fuͤr ihn, als vorzuͤglich Sparsamkeit und Einschraͤnkung, und dann hatte er noch seine beiden juͤngsten Soͤhne bei sich, welche er Musik gelehrt hatte. Da er nun

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/84
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/84>, abgerufen am 24.11.2024.