Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.Wenn das verlassene System das rechte gewesen wäre, so wäre ja nichts Höheres und zu erringen Wertheres gewesen, als das, worauf es ihn verwieß, und wohin es ihm den Weg zeigte; indem dies nichts weniger als eine geistige Wiedervereinigung mit dem Höchsten aller Wesen selbst war. "Wenn die Wahrheiten der christlichen Religion gegründet sind, so pflegte er sich bisweilen auszudrücken, daß nehmlich Jesus selbst wahrer Gott ist, Mensch geworden, als ein solcher, und Gott zugleich die Menschen durch sein Thun und Leiden mit Gott versöhnet hat, von seinem Tode wieder erstanden ist, und dereinst die Welt richten wird; was kann denn ein Mensch bessers thun, als sich demselben von ganzem Herzen zu ergeben, und sich zu bestreben nach dessen Willen zu leben, um so mehr, da derselbe solches ausdrücklich verlanget, und diejenigen, welche dieses Verlangen nicht erfüllen, von seinem Reiche dermaleinst auszuschließen gedrohet hat." Aber nun war einmal der Fall eingetreten, daß er, wenn er gleich nicht daran zweifelte, daß dieser Gesetzgeber existire, doch daran zweifelte, daß die Lehren und Gebote, die derselbe gegeben, so zu verstehen wären, wie sie ihm in den Lehren der Mystik waren ausgelegt worden. Daß dieser Zweifel seine Richtigkeit hatte, davon überzeugte ihn die gegenwärtige Lektüre zur Genüge. Wenn das verlassene System das rechte gewesen waͤre, so waͤre ja nichts Hoͤheres und zu erringen Wertheres gewesen, als das, worauf es ihn verwieß, und wohin es ihm den Weg zeigte; indem dies nichts weniger als eine geistige Wiedervereinigung mit dem Hoͤchsten aller Wesen selbst war. »Wenn die Wahrheiten der christlichen Religion gegruͤndet sind, so pflegte er sich bisweilen auszudruͤcken, daß nehmlich Jesus selbst wahrer Gott ist, Mensch geworden, als ein solcher, und Gott zugleich die Menschen durch sein Thun und Leiden mit Gott versoͤhnet hat, von seinem Tode wieder erstanden ist, und dereinst die Welt richten wird; was kann denn ein Mensch bessers thun, als sich demselben von ganzem Herzen zu ergeben, und sich zu bestreben nach dessen Willen zu leben, um so mehr, da derselbe solches ausdruͤcklich verlanget, und diejenigen, welche dieses Verlangen nicht erfuͤllen, von seinem Reiche dermaleinst auszuschließen gedrohet hat.« Aber nun war einmal der Fall eingetreten, daß er, wenn er gleich nicht daran zweifelte, daß dieser Gesetzgeber existire, doch daran zweifelte, daß die Lehren und Gebote, die derselbe gegeben, so zu verstehen waͤren, wie sie ihm in den Lehren der Mystik waren ausgelegt worden. Daß dieser Zweifel seine Richtigkeit hatte, davon uͤberzeugte ihn die gegenwaͤrtige Lektuͤre zur Genuͤge. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0078" n="78"/><lb/> <p>Wenn das verlassene System das rechte gewesen waͤre, so waͤre ja nichts Hoͤheres und zu erringen Wertheres gewesen, als das, worauf es ihn verwieß, und wohin es ihm den Weg zeigte; indem dies nichts weniger als eine geistige Wiedervereinigung mit dem Hoͤchsten aller Wesen selbst war. </p> <p>»Wenn die Wahrheiten der christlichen Religion gegruͤndet sind, so pflegte er sich bisweilen auszudruͤcken, daß nehmlich Jesus selbst wahrer Gott ist, Mensch geworden, als ein solcher, und Gott zugleich die Menschen durch sein Thun und Leiden mit Gott versoͤhnet hat, von seinem Tode wieder erstanden ist, und dereinst die Welt richten wird; was kann denn ein Mensch bessers thun, als sich demselben von ganzem Herzen zu ergeben, und sich zu bestreben nach dessen Willen zu leben, um so mehr, da derselbe solches ausdruͤcklich verlanget, und diejenigen, welche dieses Verlangen nicht erfuͤllen, von seinem Reiche dermaleinst auszuschließen gedrohet hat.« </p> <p>Aber nun war einmal der Fall eingetreten, daß er, wenn er gleich nicht daran zweifelte, daß dieser Gesetzgeber existire, doch daran zweifelte, daß die Lehren und Gebote, die derselbe gegeben, so zu verstehen waͤren, wie sie ihm in den Lehren der Mystik waren ausgelegt worden. </p> <p>Daß dieser Zweifel seine Richtigkeit hatte, davon uͤberzeugte ihn die gegenwaͤrtige Lektuͤre zur Genuͤge. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [78/0078]
Wenn das verlassene System das rechte gewesen waͤre, so waͤre ja nichts Hoͤheres und zu erringen Wertheres gewesen, als das, worauf es ihn verwieß, und wohin es ihm den Weg zeigte; indem dies nichts weniger als eine geistige Wiedervereinigung mit dem Hoͤchsten aller Wesen selbst war.
»Wenn die Wahrheiten der christlichen Religion gegruͤndet sind, so pflegte er sich bisweilen auszudruͤcken, daß nehmlich Jesus selbst wahrer Gott ist, Mensch geworden, als ein solcher, und Gott zugleich die Menschen durch sein Thun und Leiden mit Gott versoͤhnet hat, von seinem Tode wieder erstanden ist, und dereinst die Welt richten wird; was kann denn ein Mensch bessers thun, als sich demselben von ganzem Herzen zu ergeben, und sich zu bestreben nach dessen Willen zu leben, um so mehr, da derselbe solches ausdruͤcklich verlanget, und diejenigen, welche dieses Verlangen nicht erfuͤllen, von seinem Reiche dermaleinst auszuschließen gedrohet hat.«
Aber nun war einmal der Fall eingetreten, daß er, wenn er gleich nicht daran zweifelte, daß dieser Gesetzgeber existire, doch daran zweifelte, daß die Lehren und Gebote, die derselbe gegeben, so zu verstehen waͤren, wie sie ihm in den Lehren der Mystik waren ausgelegt worden.
Daß dieser Zweifel seine Richtigkeit hatte, davon uͤberzeugte ihn die gegenwaͤrtige Lektuͤre zur Genuͤge.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/78>, abgerufen am 16.02.2025. |