Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.
Es fiel ihm endlich auf, daß ihn sein geistlicher Führer, bei aller seiner Treue und Aufrichtigkeit, am Ende doch verkannt, und hingegen andere, die es gewiß nichts weniger als treu und aufrichtig gemeint hatten, dafür gehalten, und ihren Verläumdungen gegen ihn, ihren geistlichen Mitzögling, Gehör gegeben hatte. Dies alles kam N.... sehr wunderbar vor, und er konnte gar nicht begreifen und keinen Grund finden, warum es so wohl sey. Anfänglich hielt er diese Gedanken für Versuchungen, und suchte ihnen zu widerstehen, er vermochte dies aber immer weniger, und mußte ihnen nach gerade vielmehr gänzlich nachgeben und nachhängen. Jn diesem Zustande kam er wieder zu Hause, wo er nun den Druck seiner häuslichen Lage um so viel stärker fühlte, als er ihm, weil er sein Gefühl durch die Abwesenheit während der Reise etwas davon entwöhnt hatte, wieder neu geworden war. Wie gewöhnlich fieng er auch jetzt wieder an, in den ihm empfohlnen Schriften zu lesen, um daraus Trost und Erquickung in seinem Leiden zu schöpfen; aber er fand den gewohnten Trost nicht mehr darin, denn ernstere Gedanken verscheuchten die
Es fiel ihm endlich auf, daß ihn sein geistlicher Fuͤhrer, bei aller seiner Treue und Aufrichtigkeit, am Ende doch verkannt, und hingegen andere, die es gewiß nichts weniger als treu und aufrichtig gemeint hatten, dafuͤr gehalten, und ihren Verlaͤumdungen gegen ihn, ihren geistlichen Mitzoͤgling, Gehoͤr gegeben hatte. Dies alles kam N.... sehr wunderbar vor, und er konnte gar nicht begreifen und keinen Grund finden, warum es so wohl sey. Anfaͤnglich hielt er diese Gedanken fuͤr Versuchungen, und suchte ihnen zu widerstehen, er vermochte dies aber immer weniger, und mußte ihnen nach gerade vielmehr gaͤnzlich nachgeben und nachhaͤngen. Jn diesem Zustande kam er wieder zu Hause, wo er nun den Druck seiner haͤuslichen Lage um so viel staͤrker fuͤhlte, als er ihm, weil er sein Gefuͤhl durch die Abwesenheit waͤhrend der Reise etwas davon entwoͤhnt hatte, wieder neu geworden war. Wie gewoͤhnlich fieng er auch jetzt wieder an, in den ihm empfohlnen Schriften zu lesen, um daraus Trost und Erquickung in seinem Leiden zu schoͤpfen; aber er fand den gewohnten Trost nicht mehr darin, denn ernstere Gedanken verscheuchten die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0073" n="73"/><lb/> Zeit des siebenjaͤhrigen Krieges gedeutet hatte, nicht eingetroffen waren; indem sich die Zahl der Mystiker dieser Art, statt daß die Mystik sich uͤberall haͤtte ausbreiten sollen, vermindert hatte. </p> <p>Es fiel ihm endlich auf, daß ihn sein geistlicher Fuͤhrer, bei aller seiner Treue und Aufrichtigkeit, am Ende doch verkannt, und hingegen andere, die es gewiß nichts weniger als treu und aufrichtig gemeint hatten, dafuͤr gehalten, und ihren Verlaͤumdungen gegen ihn, ihren geistlichen Mitzoͤgling, Gehoͤr gegeben hatte. </p> <p>Dies alles kam N.... sehr wunderbar vor, und er konnte gar nicht begreifen und keinen Grund finden, warum es so wohl sey. </p> <p>Anfaͤnglich hielt er diese Gedanken fuͤr Versuchungen, und suchte ihnen zu widerstehen, er vermochte dies aber immer weniger, und mußte ihnen nach gerade vielmehr gaͤnzlich nachgeben und nachhaͤngen. </p> <p>Jn diesem Zustande kam er wieder zu Hause, wo er nun den Druck seiner haͤuslichen Lage um so viel staͤrker fuͤhlte, als er ihm, weil er sein Gefuͤhl durch die Abwesenheit waͤhrend der Reise etwas davon entwoͤhnt hatte, wieder neu geworden war. </p> <p>Wie gewoͤhnlich fieng er auch jetzt wieder an, in den ihm empfohlnen Schriften zu lesen, um daraus Trost und Erquickung in seinem Leiden zu schoͤpfen; aber er fand den gewohnten Trost nicht mehr darin, denn ernstere Gedanken verscheuchten die<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [73/0073]
Zeit des siebenjaͤhrigen Krieges gedeutet hatte, nicht eingetroffen waren; indem sich die Zahl der Mystiker dieser Art, statt daß die Mystik sich uͤberall haͤtte ausbreiten sollen, vermindert hatte.
Es fiel ihm endlich auf, daß ihn sein geistlicher Fuͤhrer, bei aller seiner Treue und Aufrichtigkeit, am Ende doch verkannt, und hingegen andere, die es gewiß nichts weniger als treu und aufrichtig gemeint hatten, dafuͤr gehalten, und ihren Verlaͤumdungen gegen ihn, ihren geistlichen Mitzoͤgling, Gehoͤr gegeben hatte.
Dies alles kam N.... sehr wunderbar vor, und er konnte gar nicht begreifen und keinen Grund finden, warum es so wohl sey.
Anfaͤnglich hielt er diese Gedanken fuͤr Versuchungen, und suchte ihnen zu widerstehen, er vermochte dies aber immer weniger, und mußte ihnen nach gerade vielmehr gaͤnzlich nachgeben und nachhaͤngen.
Jn diesem Zustande kam er wieder zu Hause, wo er nun den Druck seiner haͤuslichen Lage um so viel staͤrker fuͤhlte, als er ihm, weil er sein Gefuͤhl durch die Abwesenheit waͤhrend der Reise etwas davon entwoͤhnt hatte, wieder neu geworden war.
Wie gewoͤhnlich fieng er auch jetzt wieder an, in den ihm empfohlnen Schriften zu lesen, um daraus Trost und Erquickung in seinem Leiden zu schoͤpfen; aber er fand den gewohnten Trost nicht mehr darin, denn ernstere Gedanken verscheuchten die
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