Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.
Sie scheint daher gleichsam ein Spiegel zu seyn, worin das Ganze der Natur sich abbildet und siehet, welchen dasselbe aber gleichwohl aus sich geformt und in sich dargestellt hat, und zwar nicht um seine Umrisse, sondern sein Wesen selbst darin zu sehen. So wie nun also das große Ganze der Natur aus sich formt und in sich darstellt, so würde auch die Seele aus sich formen und in sich darstellen. Sollte sie nicht auch wiederum einen Spiegel aus sich formen und in sich darstellen können, wie die Natur, um sich auch darin abbilden und sehen zu können? Für einen solchen scheint man fast dasjenige zu halten, welches man den Verstand nennt. Wenn man von jemand sagt: er hat einen guten Verstand, so denkt man sich darunter etwas in dem Menschen. Man sagt aber auch: er hat einen hellen, einen klaren, einen richtigen Verstand, welches alles Benennungen sind, die man auch den Eigenschaften eines guten Spiegels giebt. Man sagt auch wohl von jemand: er hat einen scharfen Verstand, aber hat man auch schon untersucht, ob man diese Eigenschaft nicht auch einem guten Spiegel beilegen könne?
Sie scheint daher gleichsam ein Spiegel zu seyn, worin das Ganze der Natur sich abbildet und siehet, welchen dasselbe aber gleichwohl aus sich geformt und in sich dargestellt hat, und zwar nicht um seine Umrisse, sondern sein Wesen selbst darin zu sehen. So wie nun also das große Ganze der Natur aus sich formt und in sich darstellt, so wuͤrde auch die Seele aus sich formen und in sich darstellen. Sollte sie nicht auch wiederum einen Spiegel aus sich formen und in sich darstellen koͤnnen, wie die Natur, um sich auch darin abbilden und sehen zu koͤnnen? Fuͤr einen solchen scheint man fast dasjenige zu halten, welches man den Verstand nennt. Wenn man von jemand sagt: er hat einen guten Verstand, so denkt man sich darunter etwas in dem Menschen. Man sagt aber auch: er hat einen hellen, einen klaren, einen richtigen Verstand, welches alles Benennungen sind, die man auch den Eigenschaften eines guten Spiegels giebt. Man sagt auch wohl von jemand: er hat einen scharfen Verstand, aber hat man auch schon untersucht, ob man diese Eigenschaft nicht auch einem guten Spiegel beilegen koͤnne? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0049" n="49"/><lb/> dann doch etwas aus sich formen und in sich darstellen, wie das große Ganze der Natur aus sich formt und in sich darstellt. </p> <p>Sie scheint daher gleichsam ein Spiegel zu seyn, worin das Ganze der Natur sich abbildet und siehet, welchen dasselbe aber gleichwohl aus sich geformt und in sich dargestellt hat, und zwar nicht um seine <hi rendition="#b">Umrisse,</hi> sondern sein <hi rendition="#b">Wesen</hi> selbst darin zu sehen. </p> <p>So wie nun also das große Ganze der Natur aus sich formt und in sich darstellt, so wuͤrde auch die Seele aus sich formen und in sich darstellen. Sollte sie nicht auch wiederum einen Spiegel aus sich formen und in sich darstellen koͤnnen, wie die Natur, um sich auch darin abbilden und sehen zu koͤnnen? </p> <p>Fuͤr einen solchen scheint man fast dasjenige zu halten, welches man den Verstand nennt. Wenn man von jemand sagt: er hat einen guten Verstand, so denkt man sich darunter etwas <hi rendition="#b">in</hi> dem Menschen. Man sagt aber auch: er hat einen <hi rendition="#b">hellen,</hi> einen <hi rendition="#b">klaren,</hi> einen <hi rendition="#b">richtigen</hi> Verstand, welches alles Benennungen sind, die man auch den Eigenschaften eines guten Spiegels giebt. Man sagt auch wohl von jemand: er hat einen <hi rendition="#b">scharfen</hi> Verstand, aber hat man auch schon untersucht, ob man diese Eigenschaft nicht auch einem guten Spiegel beilegen koͤnne? </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [49/0049]
dann doch etwas aus sich formen und in sich darstellen, wie das große Ganze der Natur aus sich formt und in sich darstellt.
Sie scheint daher gleichsam ein Spiegel zu seyn, worin das Ganze der Natur sich abbildet und siehet, welchen dasselbe aber gleichwohl aus sich geformt und in sich dargestellt hat, und zwar nicht um seine Umrisse, sondern sein Wesen selbst darin zu sehen.
So wie nun also das große Ganze der Natur aus sich formt und in sich darstellt, so wuͤrde auch die Seele aus sich formen und in sich darstellen. Sollte sie nicht auch wiederum einen Spiegel aus sich formen und in sich darstellen koͤnnen, wie die Natur, um sich auch darin abbilden und sehen zu koͤnnen?
Fuͤr einen solchen scheint man fast dasjenige zu halten, welches man den Verstand nennt. Wenn man von jemand sagt: er hat einen guten Verstand, so denkt man sich darunter etwas in dem Menschen. Man sagt aber auch: er hat einen hellen, einen klaren, einen richtigen Verstand, welches alles Benennungen sind, die man auch den Eigenschaften eines guten Spiegels giebt. Man sagt auch wohl von jemand: er hat einen scharfen Verstand, aber hat man auch schon untersucht, ob man diese Eigenschaft nicht auch einem guten Spiegel beilegen koͤnne?
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |