Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.
Die wenigen Tage nun, welche Reiser mit dem Doktor Sauer in Erfurt verlebte, waren für ihn höchst wichtig, weil sie seiner Seele einen gewissen neuen Anstoß gaben: Er rafte sich gegen alle die Unterdrückungen zusammen, welche jenen Geist so sehr hatten lähmen können. Und der Unwille, den er darüber empfand, flößte ihm einen gewissen Trotz ein, auch dem Schwersten nicht zu unterliegen, und das gewissermaßen durch Widerstand zu rächen, was jener gelitten hatte. Sie waren eines Tages nach einem Dorfe vor Erfurt zusammen spatzieren gegangen, und O.... war mit von der Gesellschaft. -- Als sie gegen Abend zurückkehrten, kamen sie an ein Gewässer, das mit dickem Gebüsch umgeben war, und schwarz zwischen seinen Ufern hinkroch. Hier blieb Sauer stehen, und suchte mit dem Stocke die Tiefe zu messen, die er aber nicht abreichen konnte. Er blieb stehen, und sahe mit untergeschlagenen Armen in das Wasser, und bemerkte die schwarze Fläche, und wie langsam fließend es dahin kröche. Das Bild, wie Sauer mit blassen Wangen, und untergeschlagenen Armen, bedeutungsvoll in
Die wenigen Tage nun, welche Reiser mit dem Doktor Sauer in Erfurt verlebte, waren fuͤr ihn hoͤchst wichtig, weil sie seiner Seele einen gewissen neuen Anstoß gaben: Er rafte sich gegen alle die Unterdruͤckungen zusammen, welche jenen Geist so sehr hatten laͤhmen koͤnnen. Und der Unwille, den er daruͤber empfand, floͤßte ihm einen gewissen Trotz ein, auch dem Schwersten nicht zu unterliegen, und das gewissermaßen durch Widerstand zu raͤchen, was jener gelitten hatte. Sie waren eines Tages nach einem Dorfe vor Erfurt zusammen spatzieren gegangen, und O.... war mit von der Gesellschaft. — Als sie gegen Abend zuruͤckkehrten, kamen sie an ein Gewaͤsser, das mit dickem Gebuͤsch umgeben war, und schwarz zwischen seinen Ufern hinkroch. Hier blieb Sauer stehen, und suchte mit dem Stocke die Tiefe zu messen, die er aber nicht abreichen konnte. Er blieb stehen, und sahe mit untergeschlagenen Armen in das Wasser, und bemerkte die schwarze Flaͤche, und wie langsam fließend es dahin kroͤche. Das Bild, wie Sauer mit blassen Wangen, und untergeschlagenen Armen, bedeutungsvoll in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0016" n="16"/><lb/> kannt bis an seinen Tod; so daß in der kleinen Gasse, wo er wohnte, seine naͤchsten Nachbarn, als man den Sarg hinaustrug, fragten: wer denn da begraben wuͤrde? Ein Grad des Nichtbemerktwerdens, der in einer so unbevoͤlkerten Stadt, wie Erfurt, hoͤchst auffallend ist.</p> <p><choice><corr>Die</corr><sic>D e</sic></choice> wenigen Tage nun, welche Reiser mit dem Doktor Sauer in Erfurt verlebte, waren fuͤr ihn hoͤchst wichtig, weil sie seiner Seele einen gewissen neuen Anstoß gaben: Er rafte sich gegen alle die Unterdruͤckungen zusammen, welche jenen Geist so sehr hatten laͤhmen koͤnnen. Und der Unwille, den er daruͤber empfand, floͤßte ihm einen gewissen Trotz ein, auch dem Schwersten nicht zu unterliegen, und das gewissermaßen durch Widerstand zu raͤchen, was jener gelitten hatte. </p> <p>Sie waren eines Tages nach einem Dorfe <choice><corr>vor</corr><sic>vvr</sic></choice> Erfurt zusammen spatzieren gegangen, und O.... war mit von der Gesellschaft. — Als sie gegen Abend zuruͤckkehrten, kamen sie an ein Gewaͤsser, das mit dickem Gebuͤsch umgeben war, und schwarz zwischen seinen Ufern hinkroch. Hier blieb Sauer stehen, und suchte mit dem Stocke die Tiefe zu messen, die er aber nicht abreichen konnte. Er blieb stehen, und sahe mit untergeschlagenen Armen in das Wasser, und bemerkte die schwarze Flaͤche, und wie langsam fließend es dahin kroͤche. </p> <p>Das Bild, wie Sauer mit blassen Wangen, und untergeschlagenen Armen, bedeutungsvoll in<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [16/0016]
kannt bis an seinen Tod; so daß in der kleinen Gasse, wo er wohnte, seine naͤchsten Nachbarn, als man den Sarg hinaustrug, fragten: wer denn da begraben wuͤrde? Ein Grad des Nichtbemerktwerdens, der in einer so unbevoͤlkerten Stadt, wie Erfurt, hoͤchst auffallend ist.
Die wenigen Tage nun, welche Reiser mit dem Doktor Sauer in Erfurt verlebte, waren fuͤr ihn hoͤchst wichtig, weil sie seiner Seele einen gewissen neuen Anstoß gaben: Er rafte sich gegen alle die Unterdruͤckungen zusammen, welche jenen Geist so sehr hatten laͤhmen koͤnnen. Und der Unwille, den er daruͤber empfand, floͤßte ihm einen gewissen Trotz ein, auch dem Schwersten nicht zu unterliegen, und das gewissermaßen durch Widerstand zu raͤchen, was jener gelitten hatte.
Sie waren eines Tages nach einem Dorfe vor Erfurt zusammen spatzieren gegangen, und O.... war mit von der Gesellschaft. — Als sie gegen Abend zuruͤckkehrten, kamen sie an ein Gewaͤsser, das mit dickem Gebuͤsch umgeben war, und schwarz zwischen seinen Ufern hinkroch. Hier blieb Sauer stehen, und suchte mit dem Stocke die Tiefe zu messen, die er aber nicht abreichen konnte. Er blieb stehen, und sahe mit untergeschlagenen Armen in das Wasser, und bemerkte die schwarze Flaͤche, und wie langsam fließend es dahin kroͤche.
Das Bild, wie Sauer mit blassen Wangen, und untergeschlagenen Armen, bedeutungsvoll in
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/16>, abgerufen am 16.02.2025. |