Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.2. ![]() ![]() Jn des achten Bandes erstem Stücke dieses Magazins S. 6 finde ich die Geschichte eines jungen Mannes, dessen Zuneigung zu einer Mannsperson, einem Edelmanne, bis zur größten Leidenschaft aufwuchs. Der Verfasser jenes Aufsatzes fragt am Ende, ob es wohl mehrere Beispiele von dergleichen Verirrungen der Natur gäbe? Meine eigene Geschichte bejaht diese Frage. Jch hatte einige Zeit auf der Universität zu -- studirt, als ein junger Mann, den ich mit dem Buchstaben N.. bezeichnen will, eben dahin kam. Jch bemerkte ihn nicht gleich nach seiner Ankunft; als ich ihn aber das erstemal in einem Collegio sahe, so zog er meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er hatte von der Natur eine treffliche Gesichtsbildung erhalten, und seine Sitten waren sehr einnehmend. Jch bemühte mich Bekanntschaft mit ihm zu machen, konnte aber meinen Endzweck nicht erreichen. Jndessen fühlte ich mich immer stärker von ihm angezogen. Jch setzte mich in dem Collegium meistens so, daß ich ihn immer im Gesichte hatte, dadurch wurde aber meine Zuneigung zu ihm so groß, daß sie endlich in die heftigste Leidenschaft ausartete. 2. ![]() ![]() Jn des achten Bandes erstem Stuͤcke dieses Magazins S. 6 finde ich die Geschichte eines jungen Mannes, dessen Zuneigung zu einer Mannsperson, einem Edelmanne, bis zur groͤßten Leidenschaft aufwuchs. Der Verfasser jenes Aufsatzes fragt am Ende, ob es wohl mehrere Beispiele von dergleichen Verirrungen der Natur gaͤbe? Meine eigene Geschichte bejaht diese Frage. Jch hatte einige Zeit auf der Universitaͤt zu — studirt, als ein junger Mann, den ich mit dem Buchstaben N.. bezeichnen will, eben dahin kam. Jch bemerkte ihn nicht gleich nach seiner Ankunft; als ich ihn aber das erstemal in einem Collegio sahe, so zog er meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er hatte von der Natur eine treffliche Gesichtsbildung erhalten, und seine Sitten waren sehr einnehmend. Jch bemuͤhte mich Bekanntschaft mit ihm zu machen, konnte aber meinen Endzweck nicht erreichen. Jndessen fuͤhlte ich mich immer staͤrker von ihm angezogen. Jch setzte mich in dem Collegium meistens so, daß ich ihn immer im Gesichte hatte, dadurch wurde aber meine Zuneigung zu ihm so groß, daß sie endlich in die heftigste Leidenschaft ausartete. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0101" n="101"/><lb/><lb/> </div> <div n="3"> <head>2.</head><lb/> <note type="editorial"><Auszug aus einem Briefe></note> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref999"><note type="editorial"/>Anonym</persName> </bibl> </note> <p>Jn des achten Bandes erstem Stuͤcke dieses Magazins S. 6 finde ich die Geschichte eines jungen Mannes, dessen Zuneigung zu einer Mannsperson, einem Edelmanne, bis zur groͤßten Leidenschaft aufwuchs. Der Verfasser jenes Aufsatzes fragt am Ende, ob es wohl mehrere Beispiele von dergleichen Verirrungen der Natur gaͤbe? Meine eigene Geschichte bejaht diese Frage.</p> <p>Jch hatte einige Zeit auf der Universitaͤt zu — studirt, als ein junger Mann, den ich mit dem Buchstaben N.. bezeichnen will, eben dahin kam. Jch bemerkte ihn nicht gleich nach seiner Ankunft; als ich ihn aber das erstemal in einem Collegio sahe, so zog er meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er hatte von der Natur eine treffliche Gesichtsbildung erhalten, und seine Sitten waren sehr einnehmend.</p> <p>Jch bemuͤhte mich Bekanntschaft mit ihm zu machen, konnte aber meinen Endzweck nicht erreichen. Jndessen fuͤhlte ich mich immer staͤrker von ihm angezogen. Jch setzte mich in dem Collegium meistens so, daß ich ihn immer im Gesichte hatte, dadurch wurde aber meine Zuneigung zu ihm so groß, daß sie endlich in die heftigste Leidenschaft ausartete.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [101/0101]
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Jn des achten Bandes erstem Stuͤcke dieses Magazins S. 6 finde ich die Geschichte eines jungen Mannes, dessen Zuneigung zu einer Mannsperson, einem Edelmanne, bis zur groͤßten Leidenschaft aufwuchs. Der Verfasser jenes Aufsatzes fragt am Ende, ob es wohl mehrere Beispiele von dergleichen Verirrungen der Natur gaͤbe? Meine eigene Geschichte bejaht diese Frage.
Jch hatte einige Zeit auf der Universitaͤt zu — studirt, als ein junger Mann, den ich mit dem Buchstaben N.. bezeichnen will, eben dahin kam. Jch bemerkte ihn nicht gleich nach seiner Ankunft; als ich ihn aber das erstemal in einem Collegio sahe, so zog er meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er hatte von der Natur eine treffliche Gesichtsbildung erhalten, und seine Sitten waren sehr einnehmend.
Jch bemuͤhte mich Bekanntschaft mit ihm zu machen, konnte aber meinen Endzweck nicht erreichen. Jndessen fuͤhlte ich mich immer staͤrker von ihm angezogen. Jch setzte mich in dem Collegium meistens so, daß ich ihn immer im Gesichte hatte, dadurch wurde aber meine Zuneigung zu ihm so groß, daß sie endlich in die heftigste Leidenschaft ausartete.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/101>, abgerufen am 16.02.2025. |