Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.Je eingeschränkter nun aber die Einbildungskraft bei einem Menschen ist, je mehr hält er sich bloß an die Vorstellung von dem gegenwärtigen Würklichen, je reger sie aber bei ihm ist, je mehr und öfter geht er davon ab. Da nun die Schwärmerei der Mystik einen höhern als gewöhnlichen Grad von reger Einbildungskraft voraussetzt, indem sie doch, obgleich sie alle Bilder verdrängt wissen will, ja ihr Wesen darin hat, so ist ganz natürlich, daß sie sich hier auch am meisten äußern muß. Jn der Mystik wird aber etwas als würklich angenommen, welches doch nichts weniger als würklich ist, sondern nur bloß in der Einbildung besteht, und wovon die Einbildung nicht abgehen soll. Da das in der Mystik als würklich angenommene, welches wie ein Mittelpunkt festgesetzt worden, nichts körperlich merkbares an sich hat, sondern nur in einer dunkeln Empfindung besteht, und also das zarteste ist, was man sich nur denken kann; so muß es einem Mystiker erstaunend schwer werden, gerade die schon gehabte dunkle Empfindung wieder bei sich zu erwecken, wenn er durch seine flüchtige Einbildungskraft sich einmal von diesen Mittelpunkte verloren. Es ist nun kein andrer Weg und kein anderes Mittel für ihn, als daß er den Weg, durch den er von seinem Standpunkte abgegangen, wieder Je eingeschraͤnkter nun aber die Einbildungskraft bei einem Menschen ist, je mehr haͤlt er sich bloß an die Vorstellung von dem gegenwaͤrtigen Wuͤrklichen, je reger sie aber bei ihm ist, je mehr und oͤfter geht er davon ab. Da nun die Schwaͤrmerei der Mystik einen hoͤhern als gewoͤhnlichen Grad von reger Einbildungskraft voraussetzt, indem sie doch, obgleich sie alle Bilder verdraͤngt wissen will, ja ihr Wesen darin hat, so ist ganz natuͤrlich, daß sie sich hier auch am meisten aͤußern muß. Jn der Mystik wird aber etwas als wuͤrklich angenommen, welches doch nichts weniger als wuͤrklich ist, sondern nur bloß in der Einbildung besteht, und wovon die Einbildung nicht abgehen soll. Da das in der Mystik als wuͤrklich angenommene, welches wie ein Mittelpunkt festgesetzt worden, nichts koͤrperlich merkbares an sich hat, sondern nur in einer dunkeln Empfindung besteht, und also das zarteste ist, was man sich nur denken kann; so muß es einem Mystiker erstaunend schwer werden, gerade die schon gehabte dunkle Empfindung wieder bei sich zu erwecken, wenn er durch seine fluͤchtige Einbildungskraft sich einmal von diesen Mittelpunkte verloren. Es ist nun kein andrer Weg und kein anderes Mittel fuͤr ihn, als daß er den Weg, durch den er von seinem Standpunkte abgegangen, wieder <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0081" n="79"/><lb/> <p>Je eingeschraͤnkter nun aber die Einbildungskraft bei einem Menschen ist, je mehr haͤlt er sich bloß an die Vorstellung von dem gegenwaͤrtigen Wuͤrklichen, je reger sie aber bei ihm ist, je mehr und oͤfter geht er davon ab. </p> <p>Da nun die Schwaͤrmerei der Mystik einen hoͤhern als gewoͤhnlichen Grad von reger Einbildungskraft voraussetzt, indem sie doch, obgleich sie alle Bilder verdraͤngt wissen will, ja ihr Wesen darin hat, so ist ganz natuͤrlich, daß sie sich hier auch am meisten aͤußern muß. </p> <p>Jn der Mystik wird aber etwas als wuͤrklich angenommen, welches doch nichts weniger als wuͤrklich ist, sondern nur bloß in der Einbildung besteht, und wovon die Einbildung nicht abgehen soll. </p> <p>Da das in der Mystik als wuͤrklich angenommene, welches wie ein Mittelpunkt festgesetzt worden, nichts koͤrperlich merkbares an sich hat, sondern nur in einer dunkeln Empfindung besteht, und also das zarteste ist, was man sich nur denken kann; so muß es einem Mystiker erstaunend schwer werden, gerade die schon gehabte dunkle Empfindung wieder bei sich zu erwecken, wenn er durch seine fluͤchtige Einbildungskraft sich einmal von diesen Mittelpunkte verloren. </p> <p>Es ist nun kein andrer Weg und kein anderes Mittel fuͤr ihn, als daß er den Weg, durch den er von seinem Standpunkte abgegangen, wieder<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [79/0081]
Je eingeschraͤnkter nun aber die Einbildungskraft bei einem Menschen ist, je mehr haͤlt er sich bloß an die Vorstellung von dem gegenwaͤrtigen Wuͤrklichen, je reger sie aber bei ihm ist, je mehr und oͤfter geht er davon ab.
Da nun die Schwaͤrmerei der Mystik einen hoͤhern als gewoͤhnlichen Grad von reger Einbildungskraft voraussetzt, indem sie doch, obgleich sie alle Bilder verdraͤngt wissen will, ja ihr Wesen darin hat, so ist ganz natuͤrlich, daß sie sich hier auch am meisten aͤußern muß.
Jn der Mystik wird aber etwas als wuͤrklich angenommen, welches doch nichts weniger als wuͤrklich ist, sondern nur bloß in der Einbildung besteht, und wovon die Einbildung nicht abgehen soll.
Da das in der Mystik als wuͤrklich angenommene, welches wie ein Mittelpunkt festgesetzt worden, nichts koͤrperlich merkbares an sich hat, sondern nur in einer dunkeln Empfindung besteht, und also das zarteste ist, was man sich nur denken kann; so muß es einem Mystiker erstaunend schwer werden, gerade die schon gehabte dunkle Empfindung wieder bei sich zu erwecken, wenn er durch seine fluͤchtige Einbildungskraft sich einmal von diesen Mittelpunkte verloren.
Es ist nun kein andrer Weg und kein anderes Mittel fuͤr ihn, als daß er den Weg, durch den er von seinem Standpunkte abgegangen, wieder
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791/81>, abgerufen am 29.06.2024. |