Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.
Es wird also jetzt schwerer, daß diese Gehirnfiber sich bewegt, und einem neuen Eindruck wird es nun auch leichter, Besitz zu nehmen. Und wie konnte die Natur weiser und besser handeln, als daß sie die dem Geiste Traurigkeit verursachende Fiber ganz abspannte und sie ihres Dienstes entließ? Denn wenn die Gehirnfiber nicht anschlägt, so hat die Seele keine Vorstellung. Nach Bonnets*) sinnreicher Vorstellung ist das Seelenorgan einem Klavier, und die Seele selbst dem Spieler desselben zu vergleichen; und hier hätte also alsdann die Natur eine Saite so abgerissen, daß wohl eine andere, aber niemals die alte Saite aufgezogen werden könnte; es war unmöglich gemacht worden, den alten Ton ganz wieder hervorzubringen. Die Thränenbehälter befinden überdies sich zu ihrem Zwecke in einer so glücklichen Lage, nehmlich in der Nähe des Sehnervens. *) Essai de Psychologie. p. 13.
Es wird also jetzt schwerer, daß diese Gehirnfiber sich bewegt, und einem neuen Eindruck wird es nun auch leichter, Besitz zu nehmen. Und wie konnte die Natur weiser und besser handeln, als daß sie die dem Geiste Traurigkeit verursachende Fiber ganz abspannte und sie ihres Dienstes entließ? Denn wenn die Gehirnfiber nicht anschlaͤgt, so hat die Seele keine Vorstellung. Nach Bonnets*) sinnreicher Vorstellung ist das Seelenorgan einem Klavier, und die Seele selbst dem Spieler desselben zu vergleichen; und hier haͤtte also alsdann die Natur eine Saite so abgerissen, daß wohl eine andere, aber niemals die alte Saite aufgezogen werden koͤnnte; es war unmoͤglich gemacht worden, den alten Ton ganz wieder hervorzubringen. Die Thraͤnenbehaͤlter befinden uͤberdies sich zu ihrem Zwecke in einer so gluͤcklichen Lage, nehmlich in der Naͤhe des Sehnervens. *) Essai de Psychologie. p. 13.
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Gehirn und den Nerven, und nach der Gehirn- und Nervenmaße folgern; daß die Feuchtigkeiten, die sich ergießen, derjenigen Gehirnfiber vorzuͤglich, die den verlornen Gegenstand erweckte, und nun die Ursache des Thraͤnenflusses ist, die Maße von fluͤssigen Theilen und Saͤften wegnehmen, die zur leichten Bewegung erforderlich ist.
Es wird also jetzt schwerer, daß diese Gehirnfiber sich bewegt, und einem neuen Eindruck wird es nun auch leichter, Besitz zu nehmen. Und wie konnte die Natur weiser und besser handeln, als daß sie die dem Geiste Traurigkeit verursachende Fiber ganz abspannte und sie ihres Dienstes entließ? Denn wenn die Gehirnfiber nicht anschlaͤgt, so hat die Seele keine Vorstellung.
Nach Bonnets*) sinnreicher Vorstellung ist das Seelenorgan einem Klavier, und die Seele selbst dem Spieler desselben zu vergleichen; und hier haͤtte also alsdann die Natur eine Saite so abgerissen, daß wohl eine andere, aber niemals die alte Saite aufgezogen werden koͤnnte; es war unmoͤglich gemacht worden, den alten Ton ganz wieder hervorzubringen.
Die Thraͤnenbehaͤlter befinden uͤberdies sich zu ihrem Zwecke in einer so gluͤcklichen Lage, nehmlich in der Naͤhe des Sehnervens.
*) Essai de Psychologie. p. 13.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791/23>, abgerufen am 16.02.2025. |