Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789.5. Ueber Mystik. Wenn irgend etwas verdient, psychologisch betrachtet zu werden, so sind es die Lehren der Mystik, welche auf die Gemüther der Menschen einen so erstaunlichen Einfluß von jeher gehabt haben, und noch haben. Dieses Einflusses wegen sind sie schon der Betrachtung werth -- da insbesondere die höhere Mystik gar keine Reize für die Einbildungskraft hat, sondern vielmehr alle Bilder selbst erst aus der Seele vertilgt wissen will, ehe das eigentliche Licht darin erscheinen kann, welches denn auch wieder mehr eine verzehrende als wohlthätige Flamme ist. Dergleichen Dinge mit Machtsprüchen an die Seite zu werfen, führt uns nicht weiter; denn sie kommen dadurch nicht an die Seite, sondern bleiben immer auf ihrer Stelle liegen, und hemmen den Weg. So viel leuchtet freilich ein, daß die Mystik schon deswegen keinen festen Grund haben könne, weil sie die übrigen reellen menschlichen Kenntnisse und Wissenschaften nicht voraus setzt, sondern gleich das Resultat vorwegnimmt. 5. Ueber Mystik. Wenn irgend etwas verdient, psychologisch betrachtet zu werden, so sind es die Lehren der Mystik, welche auf die Gemuͤther der Menschen einen so erstaunlichen Einfluß von jeher gehabt haben, und noch haben. Dieses Einflusses wegen sind sie schon der Betrachtung werth — da insbesondere die hoͤhere Mystik gar keine Reize fuͤr die Einbildungskraft hat, sondern vielmehr alle Bilder selbst erst aus der Seele vertilgt wissen will, ehe das eigentliche Licht darin erscheinen kann, welches denn auch wieder mehr eine verzehrende als wohlthaͤtige Flamme ist. Dergleichen Dinge mit Machtspruͤchen an die Seite zu werfen, fuͤhrt uns nicht weiter; denn sie kommen dadurch nicht an die Seite, sondern bleiben immer auf ihrer Stelle liegen, und hemmen den Weg. So viel leuchtet freilich ein, daß die Mystik schon deswegen keinen festen Grund haben koͤnne, weil sie die uͤbrigen reellen menschlichen Kenntnisse und Wissenschaften nicht voraus setzt, sondern gleich das Resultat vorwegnimmt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0075" n="75"/><lb/><lb/> </div> <div n="3"> <head>5. Ueber Mystik.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref1"><note type="editorial"/>Moritz<, Karl Philipp></persName> </bibl> </note> <p>Wenn irgend etwas verdient, psychologisch betrachtet zu werden, so sind es die Lehren der Mystik, welche auf die Gemuͤther der Menschen einen so erstaunlichen Einfluß von jeher gehabt haben, und noch haben.</p> <p>Dieses Einflusses wegen sind sie schon der Betrachtung werth — da insbesondere die hoͤhere Mystik gar keine Reize fuͤr die Einbildungskraft hat, sondern vielmehr alle Bilder selbst erst aus der Seele vertilgt wissen will, ehe das eigentliche Licht darin erscheinen kann, welches denn auch wieder mehr eine <hi rendition="#b">verzehrende</hi> als wohlthaͤtige Flamme ist.</p> <p>Dergleichen Dinge mit Machtspruͤchen an die Seite zu werfen, fuͤhrt uns nicht weiter; denn sie kommen dadurch nicht an die Seite, sondern bleiben immer auf ihrer Stelle liegen, und hemmen den Weg.</p> <p>So viel leuchtet freilich ein, daß die Mystik schon deswegen keinen festen Grund haben koͤnne, weil sie die uͤbrigen reellen menschlichen Kenntnisse und Wissenschaften nicht voraus setzt, sondern gleich das Resultat vorwegnimmt.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [75/0075]
5. Ueber Mystik.
Wenn irgend etwas verdient, psychologisch betrachtet zu werden, so sind es die Lehren der Mystik, welche auf die Gemuͤther der Menschen einen so erstaunlichen Einfluß von jeher gehabt haben, und noch haben.
Dieses Einflusses wegen sind sie schon der Betrachtung werth — da insbesondere die hoͤhere Mystik gar keine Reize fuͤr die Einbildungskraft hat, sondern vielmehr alle Bilder selbst erst aus der Seele vertilgt wissen will, ehe das eigentliche Licht darin erscheinen kann, welches denn auch wieder mehr eine verzehrende als wohlthaͤtige Flamme ist.
Dergleichen Dinge mit Machtspruͤchen an die Seite zu werfen, fuͤhrt uns nicht weiter; denn sie kommen dadurch nicht an die Seite, sondern bleiben immer auf ihrer Stelle liegen, und hemmen den Weg.
So viel leuchtet freilich ein, daß die Mystik schon deswegen keinen festen Grund haben koͤnne, weil sie die uͤbrigen reellen menschlichen Kenntnisse und Wissenschaften nicht voraus setzt, sondern gleich das Resultat vorwegnimmt.
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