Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.Aber der sonderbare Mangel an Mitleiden, den ich von früher Jugend an mir bemerkt habe, hat mich doch nicht unentschlossen und unthätig gemacht, meinen leidenden Nebenmenschen beizustehen, und diejenigen zu verachten, welche ein Felsenherz bei der Noth ihrer Brüder an den Tag legten. Vielmehr wirken die Gründe der Vernunft, sich hülfsloser Menschen anzunehmen, mit einer außerordentlichen Lebhaftigkeit auf mein Herz; -- aber sie reizen mich nicht zum Mitleiden. Wenn ich andern beistehe; so sind es die Gründe der Vernunft allein, die mich zum Handeln determiniren, nicht die Leidenschaft, und der mitleidige Jnstinct, der bei den meisten Menschen blindlings vor der Vernunft vorhergeht. Da ich ganz offenherzig reden kann, so muß ich aber doch auch gestehen, daß sich in meine Wohlthätigkeit nicht selten eine versteckte Eitelkeit einschleicht, und den Grad des menschenfreundlichen Wirkens bestimmt, wodurch ich andern nüzlich werden will. Diese Eitelkeit wirkt nach verschiedenen Umständen immer verschieden. Es giebt Augenblicke, wo ich mit dem Beifalle, den mir ganz im Stillen mein Herz giebt, vollkommen zufrieden bin, wo ich durchaus nicht wünsche, daß ein Werk meiner Wohlthätigkeit bekannt werden möchte, wo ich mich über den Wunsch, es auszubreiten, schämen kann. Zu andern Zeiten richte ich meine Handlung so ein, daß sie bekannt werden muß, -- der Aber der sonderbare Mangel an Mitleiden, den ich von fruͤher Jugend an mir bemerkt habe, hat mich doch nicht unentschlossen und unthaͤtig gemacht, meinen leidenden Nebenmenschen beizustehen, und diejenigen zu verachten, welche ein Felsenherz bei der Noth ihrer Bruͤder an den Tag legten. Vielmehr wirken die Gruͤnde der Vernunft, sich huͤlfsloser Menschen anzunehmen, mit einer außerordentlichen Lebhaftigkeit auf mein Herz; — aber sie reizen mich nicht zum Mitleiden. Wenn ich andern beistehe; so sind es die Gruͤnde der Vernunft allein, die mich zum Handeln determiniren, nicht die Leidenschaft, und der mitleidige Jnstinct, der bei den meisten Menschen blindlings vor der Vernunft vorhergeht. Da ich ganz offenherzig reden kann, so muß ich aber doch auch gestehen, daß sich in meine Wohlthaͤtigkeit nicht selten eine versteckte Eitelkeit einschleicht, und den Grad des menschenfreundlichen Wirkens bestimmt, wodurch ich andern nuͤzlich werden will. Diese Eitelkeit wirkt nach verschiedenen Umstaͤnden immer verschieden. Es giebt Augenblicke, wo ich mit dem Beifalle, den mir ganz im Stillen mein Herz giebt, vollkommen zufrieden bin, wo ich durchaus nicht wuͤnsche, daß ein Werk meiner Wohlthaͤtigkeit bekannt werden moͤchte, wo ich mich uͤber den Wunsch, es auszubreiten, schaͤmen kann. Zu andern Zeiten richte ich meine Handlung so ein, daß sie bekannt werden muß, — der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0099" n="99"/><lb/> <p>Aber der sonderbare Mangel an Mitleiden, den ich von fruͤher Jugend an mir bemerkt habe, hat mich doch nicht unentschlossen und unthaͤtig gemacht, meinen leidenden Nebenmenschen beizustehen, und diejenigen zu verachten, welche ein Felsenherz bei der Noth ihrer Bruͤder an den Tag legten. Vielmehr wirken die Gruͤnde der Vernunft, sich huͤlfsloser Menschen anzunehmen, mit einer außerordentlichen Lebhaftigkeit auf mein Herz; — aber sie reizen mich nicht zum <hi rendition="#b">Mitleiden.</hi> Wenn ich andern beistehe; so sind es die Gruͤnde der Vernunft allein, die mich zum Handeln determiniren, nicht die Leidenschaft, und der mitleidige Jnstinct, der bei den meisten Menschen blindlings vor der Vernunft vorhergeht.</p> <p>Da ich ganz offenherzig reden kann, so muß ich aber doch auch gestehen, daß sich in meine Wohlthaͤtigkeit nicht selten eine versteckte <hi rendition="#b">Eitelkeit</hi> einschleicht, und den Grad des menschenfreundlichen Wirkens bestimmt, wodurch ich andern nuͤzlich werden will. Diese Eitelkeit wirkt nach verschiedenen Umstaͤnden immer verschieden. Es giebt Augenblicke, wo ich mit dem Beifalle, den mir ganz im Stillen mein Herz giebt, vollkommen zufrieden bin, wo ich durchaus nicht wuͤnsche, daß ein Werk meiner Wohlthaͤtigkeit bekannt werden moͤchte, wo ich mich uͤber den Wunsch, es auszubreiten, schaͤmen kann. Zu andern Zeiten richte ich meine Handlung so ein, daß sie bekannt werden muß, — der<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [99/0099]
Aber der sonderbare Mangel an Mitleiden, den ich von fruͤher Jugend an mir bemerkt habe, hat mich doch nicht unentschlossen und unthaͤtig gemacht, meinen leidenden Nebenmenschen beizustehen, und diejenigen zu verachten, welche ein Felsenherz bei der Noth ihrer Bruͤder an den Tag legten. Vielmehr wirken die Gruͤnde der Vernunft, sich huͤlfsloser Menschen anzunehmen, mit einer außerordentlichen Lebhaftigkeit auf mein Herz; — aber sie reizen mich nicht zum Mitleiden. Wenn ich andern beistehe; so sind es die Gruͤnde der Vernunft allein, die mich zum Handeln determiniren, nicht die Leidenschaft, und der mitleidige Jnstinct, der bei den meisten Menschen blindlings vor der Vernunft vorhergeht.
Da ich ganz offenherzig reden kann, so muß ich aber doch auch gestehen, daß sich in meine Wohlthaͤtigkeit nicht selten eine versteckte Eitelkeit einschleicht, und den Grad des menschenfreundlichen Wirkens bestimmt, wodurch ich andern nuͤzlich werden will. Diese Eitelkeit wirkt nach verschiedenen Umstaͤnden immer verschieden. Es giebt Augenblicke, wo ich mit dem Beifalle, den mir ganz im Stillen mein Herz giebt, vollkommen zufrieden bin, wo ich durchaus nicht wuͤnsche, daß ein Werk meiner Wohlthaͤtigkeit bekannt werden moͤchte, wo ich mich uͤber den Wunsch, es auszubreiten, schaͤmen kann. Zu andern Zeiten richte ich meine Handlung so ein, daß sie bekannt werden muß, — der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |