Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0089" n="89"/><lb/> kannte sie ihre Freunde durch das Gefuͤhl ihrer Haͤnde, und wenn dieselben zu ihr kamen; so pflegten sie ihr die Haͤnde darzubieten, um sich zu erkennen zu geben. Die Bildung und die Waͤrme der Hand waren ihre gewoͤhnlichen Merkmale, und zuweilen umspannte sie die Handwurzel am Arme, oder maaß die Finger. Ein Frauenzimmer mit der sie wohl bekannt war, kam einst und bot ihr die Hand, wie gewoͤhnlich. Sie befuͤhlte solche laͤnger, als sonst, und schien zweifelhaft, wessen Hand es waͤre: nachdem sie aber die lezterwaͤhnten Abmessungen angestellt hatte, gab sie zu verstehen: »daß es Jgfr. M. sey, aber heute waͤrmer, als sonst waͤre.« Diese blinde Person pflegte viel zu naͤhen, um sich die Zeit zu vertreiben und ihre Naͤhterei war ungemein sauber und ordentlich. Unter vielen Stuͤcken von ihrer Arbeit, die man in der Familie aufhebt, befindet sich ein Nadelkuͤssen, das kaum seinesgleichen hat. Zuweilen schrieb sie auch, und ihre Schrift war noch außerordentlicher als ihre Naͤhterei. Sie war eben so ordentlich und richtig; die Zuͤge waren sehr artig, die Zeilen alle gerade, und die Buchstaben in gleichen Entfernungen von einander. Das erstaunlichste bei ihrem Schreiben war, daß sie auf eine gewisse Art entdeckte, wenn sie einen Buchstaben ausgelaßen hatte, und ihn uͤber das Wort, wo er hingehoͤrte, mit der gehoͤrigen Anzeigung setzte. Sie pflegte zu allen Stunden der Nacht sich in ihrem Bette aufzusetzen, und zu naͤhen oder<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0089]
kannte sie ihre Freunde durch das Gefuͤhl ihrer Haͤnde, und wenn dieselben zu ihr kamen; so pflegten sie ihr die Haͤnde darzubieten, um sich zu erkennen zu geben. Die Bildung und die Waͤrme der Hand waren ihre gewoͤhnlichen Merkmale, und zuweilen umspannte sie die Handwurzel am Arme, oder maaß die Finger. Ein Frauenzimmer mit der sie wohl bekannt war, kam einst und bot ihr die Hand, wie gewoͤhnlich. Sie befuͤhlte solche laͤnger, als sonst, und schien zweifelhaft, wessen Hand es waͤre: nachdem sie aber die lezterwaͤhnten Abmessungen angestellt hatte, gab sie zu verstehen: »daß es Jgfr. M. sey, aber heute waͤrmer, als sonst waͤre.« Diese blinde Person pflegte viel zu naͤhen, um sich die Zeit zu vertreiben und ihre Naͤhterei war ungemein sauber und ordentlich. Unter vielen Stuͤcken von ihrer Arbeit, die man in der Familie aufhebt, befindet sich ein Nadelkuͤssen, das kaum seinesgleichen hat. Zuweilen schrieb sie auch, und ihre Schrift war noch außerordentlicher als ihre Naͤhterei. Sie war eben so ordentlich und richtig; die Zuͤge waren sehr artig, die Zeilen alle gerade, und die Buchstaben in gleichen Entfernungen von einander. Das erstaunlichste bei ihrem Schreiben war, daß sie auf eine gewisse Art entdeckte, wenn sie einen Buchstaben ausgelaßen hatte, und ihn uͤber das Wort, wo er hingehoͤrte, mit der gehoͤrigen Anzeigung setzte. Sie pflegte zu allen Stunden der Nacht sich in ihrem Bette aufzusetzen, und zu naͤhen oder
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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