Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

Den folgenden Tag hatte der Marquis Abends Gesellschaft bei sich, welches nicht oft geschahe. Man foderte einen Stuhl nach dem andern, so wie ein Gast nach dem andern kam. Negretti schlief unterdessen ein; nach einem kurzen Schlafe stand er auf, schneuzte sich, nahm Taback, und lief geschwind in ein andres Zimmer, um Stühle zu holen. Das Merkwürdigste ist, daß, da er einen Stuhl mit beiden Händen trug, und damit an eine Thüre kam, welche nicht offen war, er nicht anklopfte, sondern mit einer Hand die Thüre öfnete, den Stuhl mit beiden Händen hindurch trug, und ihn grade auf die Stelle setzte; wo er stehen sollte. Er gieng hierauf an den Schenktisch, suchte den Schlüssel, und ward verdrüßlich, da er ihn nicht fand. Er nahm ein Licht, und sahe sich in allen Winkeln um, besonders auf den Stufen der Treppe; er that dabei sehr eilfertig, und tappte mit den Händen, als ob er den verlohrnen Schlüssel suchte. Der Cammerdiener steckte ihn demselben heimlich in die Tasche. Nach langem Suchen steckte endlich Negretti die Hand in die Tasche, fand den Schlüssel, und ärgerte sich, daß er so lange gesucht hatte. Er öfnete den Schenktisch, nahm eine Serviete, eine Schüssel und ein paar Semmeln heraus; er schloß den Schrank wieder zu, und gieng in die Küche. Hier machte er einen Salat zurechte, nahm alles dazu gehörige aus dem Küchenschranke, und setzte sich, als er fertig war, an


Den folgenden Tag hatte der Marquis Abends Gesellschaft bei sich, welches nicht oft geschahe. Man foderte einen Stuhl nach dem andern, so wie ein Gast nach dem andern kam. Negretti schlief unterdessen ein; nach einem kurzen Schlafe stand er auf, schneuzte sich, nahm Taback, und lief geschwind in ein andres Zimmer, um Stuͤhle zu holen. Das Merkwuͤrdigste ist, daß, da er einen Stuhl mit beiden Haͤnden trug, und damit an eine Thuͤre kam, welche nicht offen war, er nicht anklopfte, sondern mit einer Hand die Thuͤre oͤfnete, den Stuhl mit beiden Haͤnden hindurch trug, und ihn grade auf die Stelle setzte; wo er stehen sollte. Er gieng hierauf an den Schenktisch, suchte den Schluͤssel, und ward verdruͤßlich, da er ihn nicht fand. Er nahm ein Licht, und sahe sich in allen Winkeln um, besonders auf den Stufen der Treppe; er that dabei sehr eilfertig, und tappte mit den Haͤnden, als ob er den verlohrnen Schluͤssel suchte. Der Cammerdiener steckte ihn demselben heimlich in die Tasche. Nach langem Suchen steckte endlich Negretti die Hand in die Tasche, fand den Schluͤssel, und aͤrgerte sich, daß er so lange gesucht hatte. Er oͤfnete den Schenktisch, nahm eine Serviete, eine Schuͤssel und ein paar Semmeln heraus; er schloß den Schrank wieder zu, und gieng in die Kuͤche. Hier machte er einen Salat zurechte, nahm alles dazu gehoͤrige aus dem Kuͤchenschranke, und setzte sich, als er fertig war, an

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0074" n="74"/><lb/>
            <p>Den folgenden Tag hatte der Marquis Abends Gesellschaft bei sich, welches                         nicht oft geschahe. Man foderte einen Stuhl nach dem andern, so wie ein Gast                         nach dem andern kam. Negretti schlief unterdessen ein; nach einem kurzen                         Schlafe stand er auf, schneuzte sich, nahm Taback, und lief geschwind in ein                         andres Zimmer, um Stu&#x0364;hle zu holen. Das Merkwu&#x0364;rdigste ist, daß, da er einen                         Stuhl mit beiden Ha&#x0364;nden trug, und damit an eine Thu&#x0364;re kam, welche nicht                         offen war, er nicht anklopfte, sondern mit einer Hand die Thu&#x0364;re o&#x0364;fnete, den                         Stuhl mit beiden Ha&#x0364;nden hindurch trug, und ihn grade auf die Stelle setzte;                         wo er stehen sollte. Er gieng hierauf an den Schenktisch, suchte den                         Schlu&#x0364;ssel, und ward verdru&#x0364;ßlich, da er ihn nicht fand. Er nahm ein Licht,                         und sahe sich in allen Winkeln um, besonders auf den Stufen der Treppe; er                         that dabei sehr eilfertig, und tappte mit den Ha&#x0364;nden, als ob er den                         verlohrnen Schlu&#x0364;ssel suchte. Der Cammerdiener steckte ihn demselben heimlich                         in die Tasche. Nach langem Suchen steckte endlich Negretti die Hand in die                         Tasche, fand den Schlu&#x0364;ssel, und a&#x0364;rgerte sich, daß er so lange gesucht hatte.                         Er o&#x0364;fnete den Schenktisch, nahm eine Serviete, eine Schu&#x0364;ssel und ein paar                         Semmeln heraus; er schloß den Schrank wieder zu, und gieng in die Ku&#x0364;che.                         Hier machte er einen Salat zurechte, nahm alles dazu geho&#x0364;rige aus dem                         Ku&#x0364;chenschranke, und setzte sich, als er fertig war, an<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0074] Den folgenden Tag hatte der Marquis Abends Gesellschaft bei sich, welches nicht oft geschahe. Man foderte einen Stuhl nach dem andern, so wie ein Gast nach dem andern kam. Negretti schlief unterdessen ein; nach einem kurzen Schlafe stand er auf, schneuzte sich, nahm Taback, und lief geschwind in ein andres Zimmer, um Stuͤhle zu holen. Das Merkwuͤrdigste ist, daß, da er einen Stuhl mit beiden Haͤnden trug, und damit an eine Thuͤre kam, welche nicht offen war, er nicht anklopfte, sondern mit einer Hand die Thuͤre oͤfnete, den Stuhl mit beiden Haͤnden hindurch trug, und ihn grade auf die Stelle setzte; wo er stehen sollte. Er gieng hierauf an den Schenktisch, suchte den Schluͤssel, und ward verdruͤßlich, da er ihn nicht fand. Er nahm ein Licht, und sahe sich in allen Winkeln um, besonders auf den Stufen der Treppe; er that dabei sehr eilfertig, und tappte mit den Haͤnden, als ob er den verlohrnen Schluͤssel suchte. Der Cammerdiener steckte ihn demselben heimlich in die Tasche. Nach langem Suchen steckte endlich Negretti die Hand in die Tasche, fand den Schluͤssel, und aͤrgerte sich, daß er so lange gesucht hatte. Er oͤfnete den Schenktisch, nahm eine Serviete, eine Schuͤssel und ein paar Semmeln heraus; er schloß den Schrank wieder zu, und gieng in die Kuͤche. Hier machte er einen Salat zurechte, nahm alles dazu gehoͤrige aus dem Kuͤchenschranke, und setzte sich, als er fertig war, an

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/74
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/74>, abgerufen am 04.12.2024.