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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

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warf er seinen lezten Blick seinem zur Linken hangenden ehemaligen Spiesgesellen und nunmehrigen Gesellschafter Schnell zu; dieser Anblick erschütterte sein hart verschloßnes Jnnere plötzlich, und nun wollte er noch einige Seufzer nachholen, stoßte kaum eine fruchtlose Floskel der Andacht aus, und der tödtende Strick ergrif seinen Hals. Dieser Lasterhafte, ders unverändert blieb, war, wers nicht besser wuste, ein gebohrner Dieb, mit dem Strick gebohren, so bekannt war er als ein solcher in dieser Gegend; er konnte das Stehlen nicht laßen, ob er gleich mehrmalen dem Strick entronnen war. Seine Jugend war Anfangs schuldlos, voll der besten Anlagen des Geistes und Herzens -- hatte viel gute Erkenntniß, und wurde doch in kurzer Zeit ein so durchaus inkorrigibler Dieb, wie dazu gebohren; der Todt selbst schien eine zu schwache Kur zu seiner Besserung zu seyn. Hier ists offenbar, daß das natürliche Seelentemperament der Hauptsache nach ganz und gar keinen nothwendigen Einfluß in den sittlichen Character des Menschen habe, also kein Mensch durch seine Natur zu irgend einer bösen Neigung gezwungen sey; also weg mit den Temperamentssünden, die der Klügling so delicat zu bemänteln weiß. Jst es wahr, daß der große fromme Saurin und andere das Naschen nicht laßen konnten, so war vernachläßigte Aufmerksamkeit in Jugendjahren alleine Schuld, und nun wurd' es Gewohnheit, wofür das ursprüngliche Seelentemperament nichts


warf er seinen lezten Blick seinem zur Linken hangenden ehemaligen Spiesgesellen und nunmehrigen Gesellschafter Schnell zu; dieser Anblick erschuͤtterte sein hart verschloßnes Jnnere ploͤtzlich, und nun wollte er noch einige Seufzer nachholen, stoßte kaum eine fruchtlose Floskel der Andacht aus, und der toͤdtende Strick ergrif seinen Hals. Dieser Lasterhafte, ders unveraͤndert blieb, war, wers nicht besser wuste, ein gebohrner Dieb, mit dem Strick gebohren, so bekannt war er als ein solcher in dieser Gegend; er konnte das Stehlen nicht laßen, ob er gleich mehrmalen dem Strick entronnen war. Seine Jugend war Anfangs schuldlos, voll der besten Anlagen des Geistes und Herzens — hatte viel gute Erkenntniß, und wurde doch in kurzer Zeit ein so durchaus inkorrigibler Dieb, wie dazu gebohren; der Todt selbst schien eine zu schwache Kur zu seiner Besserung zu seyn. Hier ists offenbar, daß das natuͤrliche Seelentemperament der Hauptsache nach ganz und gar keinen nothwendigen Einfluß in den sittlichen Character des Menschen habe, also kein Mensch durch seine Natur zu irgend einer boͤsen Neigung gezwungen sey; also weg mit den Temperamentssuͤnden, die der Kluͤgling so delicat zu bemaͤnteln weiß. Jst es wahr, daß der große fromme Saurin und andere das Naschen nicht laßen konnten, so war vernachlaͤßigte Aufmerksamkeit in Jugendjahren alleine Schuld, und nun wurd' es Gewohnheit, wofuͤr das urspruͤngliche Seelentemperament nichts

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[56/0056] warf er seinen lezten Blick seinem zur Linken hangenden ehemaligen Spiesgesellen und nunmehrigen Gesellschafter Schnell zu; dieser Anblick erschuͤtterte sein hart verschloßnes Jnnere ploͤtzlich, und nun wollte er noch einige Seufzer nachholen, stoßte kaum eine fruchtlose Floskel der Andacht aus, und der toͤdtende Strick ergrif seinen Hals. Dieser Lasterhafte, ders unveraͤndert blieb, war, wers nicht besser wuste, ein gebohrner Dieb, mit dem Strick gebohren, so bekannt war er als ein solcher in dieser Gegend; er konnte das Stehlen nicht laßen, ob er gleich mehrmalen dem Strick entronnen war. Seine Jugend war Anfangs schuldlos, voll der besten Anlagen des Geistes und Herzens — hatte viel gute Erkenntniß, und wurde doch in kurzer Zeit ein so durchaus inkorrigibler Dieb, wie dazu gebohren; der Todt selbst schien eine zu schwache Kur zu seiner Besserung zu seyn. Hier ists offenbar, daß das natuͤrliche Seelentemperament der Hauptsache nach ganz und gar keinen nothwendigen Einfluß in den sittlichen Character des Menschen habe, also kein Mensch durch seine Natur zu irgend einer boͤsen Neigung gezwungen sey; also weg mit den Temperamentssuͤnden, die der Kluͤgling so delicat zu bemaͤnteln weiß. Jst es wahr, daß der große fromme Saurin und andere das Naschen nicht laßen konnten, so war vernachlaͤßigte Aufmerksamkeit in Jugendjahren alleine Schuld, und nun wurd' es Gewohnheit, wofuͤr das urspruͤngliche Seelentemperament nichts

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/56>, abgerufen am 04.12.2024.