Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.
Dieser Unglükliche wurde nach meinem Verlangen ihn zu sprechen mit der Wache zu mir in die Verhörstube gebracht. Stark geschlossen wankte er zu mir herein, seine Füße bebten unter der lästigen Maschine seines gemästeten Körpers; ich hieß ihn sich zu setzen. Darauf fing ich denn in Gegenwart des Wachtmeisters und der Wache meine Unterredung an, that viele neubegierige Fragen um ihn ganz kennen zu lernen, fing von seiner ersten Jugend an, und durchging mit ihm sein ganzes Leben bis daher. Kurz ich durchspähte jeden Schritt seiner Bahn, so gut ich konnte, um den Elenden in seiner ganzen Schwärze zu anderer weitern Benutzung kennen zu lernen. Das hauptsächlichste Studium des Volkslehrers ist nach der heiligen Schrift ja wohl Menschenkenntnis. -- Frech war der Elende, und mit gezwungener Wehmuth entpreßte sein Kieselherz dem Lasterauge eine ungewohnte Thräne, das die Würde der Thränenquelle nicht kannte, bei dem Geständnis seiner wilden Lasterhaftigkeit und Verwerfung des Allmächtigen; jedoch beantwortete er freymüthig alle meine prämeditirte Fragen, und erfüllte meine Wünsche. Jch erfrug seinen genoß'nen Jugendunterricht, das gegebene Exempel seiner verstorbenen Eltern. Der Unterricht mußte gut gewesen seyn, er hatte bei einem sehr fähigen Kopf viel richtige und gute Erkenntnis, und war in allen
Dieser Ungluͤkliche wurde nach meinem Verlangen ihn zu sprechen mit der Wache zu mir in die Verhoͤrstube gebracht. Stark geschlossen wankte er zu mir herein, seine Fuͤße bebten unter der laͤstigen Maschine seines gemaͤsteten Koͤrpers; ich hieß ihn sich zu setzen. Darauf fing ich denn in Gegenwart des Wachtmeisters und der Wache meine Unterredung an, that viele neubegierige Fragen um ihn ganz kennen zu lernen, fing von seiner ersten Jugend an, und durchging mit ihm sein ganzes Leben bis daher. Kurz ich durchspaͤhte jeden Schritt seiner Bahn, so gut ich konnte, um den Elenden in seiner ganzen Schwaͤrze zu anderer weitern Benutzung kennen zu lernen. Das hauptsaͤchlichste Studium des Volkslehrers ist nach der heiligen Schrift ja wohl Menschenkenntnis. — Frech war der Elende, und mit gezwungener Wehmuth entpreßte sein Kieselherz dem Lasterauge eine ungewohnte Thraͤne, das die Wuͤrde der Thraͤnenquelle nicht kannte, bei dem Gestaͤndnis seiner wilden Lasterhaftigkeit und Verwerfung des Allmaͤchtigen; jedoch beantwortete er freymuͤthig alle meine praͤmeditirte Fragen, und erfuͤllte meine Wuͤnsche. Jch erfrug seinen genoß'nen Jugendunterricht, das gegebene Exempel seiner verstorbenen Eltern. Der Unterricht mußte gut gewesen seyn, er hatte bei einem sehr faͤhigen Kopf viel richtige und gute Erkenntnis, und war in allen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0047" n="47"/><lb/> gung ist seine Hofnung, Begnadigung zu erlangen, nur Traum; Gering wird diesen Satz bestaͤtigen.</p> <p>Dieser Ungluͤkliche wurde nach meinem Verlangen ihn zu sprechen mit der Wache zu mir in die Verhoͤrstube gebracht. Stark geschlossen wankte er zu mir herein, seine Fuͤße bebten unter der laͤstigen Maschine seines gemaͤsteten Koͤrpers; ich hieß ihn sich zu setzen. Darauf fing ich denn in Gegenwart des Wachtmeisters und der Wache meine Unterredung an, that viele neubegierige Fragen um ihn ganz kennen zu lernen, fing von seiner ersten Jugend an, und durchging mit ihm sein ganzes Leben bis daher. Kurz ich durchspaͤhte jeden Schritt seiner Bahn, so gut ich konnte, um den Elenden in seiner ganzen Schwaͤrze zu anderer weitern Benutzung kennen zu lernen. Das hauptsaͤchlichste Studium des Volkslehrers ist nach der heiligen Schrift ja wohl Menschenkenntnis. — Frech war der Elende, und mit gezwungener Wehmuth entpreßte sein Kieselherz dem Lasterauge eine ungewohnte Thraͤne, das die Wuͤrde der Thraͤnenquelle nicht kannte, bei dem Gestaͤndnis seiner wilden Lasterhaftigkeit und Verwerfung des Allmaͤchtigen; jedoch beantwortete er freymuͤthig alle meine praͤmeditirte Fragen, und erfuͤllte meine Wuͤnsche. Jch erfrug seinen genoß'nen Jugendunterricht, das gegebene Exempel seiner verstorbenen Eltern. Der Unterricht mußte gut gewesen seyn, er hatte bei einem sehr faͤhigen Kopf viel richtige und gute Erkenntnis, und war in allen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [47/0047]
gung ist seine Hofnung, Begnadigung zu erlangen, nur Traum; Gering wird diesen Satz bestaͤtigen.
Dieser Ungluͤkliche wurde nach meinem Verlangen ihn zu sprechen mit der Wache zu mir in die Verhoͤrstube gebracht. Stark geschlossen wankte er zu mir herein, seine Fuͤße bebten unter der laͤstigen Maschine seines gemaͤsteten Koͤrpers; ich hieß ihn sich zu setzen. Darauf fing ich denn in Gegenwart des Wachtmeisters und der Wache meine Unterredung an, that viele neubegierige Fragen um ihn ganz kennen zu lernen, fing von seiner ersten Jugend an, und durchging mit ihm sein ganzes Leben bis daher. Kurz ich durchspaͤhte jeden Schritt seiner Bahn, so gut ich konnte, um den Elenden in seiner ganzen Schwaͤrze zu anderer weitern Benutzung kennen zu lernen. Das hauptsaͤchlichste Studium des Volkslehrers ist nach der heiligen Schrift ja wohl Menschenkenntnis. — Frech war der Elende, und mit gezwungener Wehmuth entpreßte sein Kieselherz dem Lasterauge eine ungewohnte Thraͤne, das die Wuͤrde der Thraͤnenquelle nicht kannte, bei dem Gestaͤndnis seiner wilden Lasterhaftigkeit und Verwerfung des Allmaͤchtigen; jedoch beantwortete er freymuͤthig alle meine praͤmeditirte Fragen, und erfuͤllte meine Wuͤnsche. Jch erfrug seinen genoß'nen Jugendunterricht, das gegebene Exempel seiner verstorbenen Eltern. Der Unterricht mußte gut gewesen seyn, er hatte bei einem sehr faͤhigen Kopf viel richtige und gute Erkenntnis, und war in allen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |