erschöpft. Religion kennt er, aber hat sie nicht, hält sie für ein Hirngespenst, und stößt sie von sich, wo sie seine Schritte zügeln will. Die gemeine Menschenehre ist ihm Thorheit; Wohlstand, Beifall, Glauben, Zutrauen des Nächsten sucht er nicht; seine Lüste zu fröhnen, ohne Einschränkung zügellos zu leben, nur das ist sein einziges Augenmerk, das Ziel der Ehre wohin er strebt. Zwangmittel sind bisher fruchtlos gewesen, und moralische als die einzigen ächten Besserungsmittel für den Menschen, werden fruchtlos bleiben. Kömmt einmal sein Sterbelager näher, so möchte höchstens eine erzwungene Galgenbuße seine Miene frömmer machen, aber sicher sein Herz nicht bessern, seine Seele nicht heilen. Wollen wir kein Wunderwerk annehmen, so kann diese durchaus erkrankte Seele schwerlich auf dem natürlichen Wege der Besserung durch neue Kultur der Seelenkräfte gebessert werden. Ein Arbeits- lieber Besserungs- als Zuchthaus, wo ein solcher Mensch mehrere Jahre im Stillen ohne alle Gesellschaft fleißig arbeiten müßte, wäre die beste Kur und zugleich Wohlthat für den Staat. Jn Gesellschaft zu arbeiten würde ein solcher Mensch sicher der alte bleiben, die Seele nie recht aufwachen und zu sich selbst kommen. Sonst muß wohl der treue Volkslehrer das beste thun, solche Krankheiten durch Popularität im Predigen, Katechisiren und Hausbesuchen, zu heilen und vorzubeugen suchen. Aecht populäre Prediger, die zu diesem
erschoͤpft. Religion kennt er, aber hat sie nicht, haͤlt sie fuͤr ein Hirngespenst, und stoͤßt sie von sich, wo sie seine Schritte zuͤgeln will. Die gemeine Menschenehre ist ihm Thorheit; Wohlstand, Beifall, Glauben, Zutrauen des Naͤchsten sucht er nicht; seine Luͤste zu froͤhnen, ohne Einschraͤnkung zuͤgellos zu leben, nur das ist sein einziges Augenmerk, das Ziel der Ehre wohin er strebt. Zwangmittel sind bisher fruchtlos gewesen, und moralische als die einzigen aͤchten Besserungsmittel fuͤr den Menschen, werden fruchtlos bleiben. Koͤmmt einmal sein Sterbelager naͤher, so moͤchte hoͤchstens eine erzwungene Galgenbuße seine Miene froͤmmer machen, aber sicher sein Herz nicht bessern, seine Seele nicht heilen. Wollen wir kein Wunderwerk annehmen, so kann diese durchaus erkrankte Seele schwerlich auf dem natuͤrlichen Wege der Besserung durch neue Kultur der Seelenkraͤfte gebessert werden. Ein Arbeits- lieber Besserungs- als Zuchthaus, wo ein solcher Mensch mehrere Jahre im Stillen ohne alle Gesellschaft fleißig arbeiten muͤßte, waͤre die beste Kur und zugleich Wohlthat fuͤr den Staat. Jn Gesellschaft zu arbeiten wuͤrde ein solcher Mensch sicher der alte bleiben, die Seele nie recht aufwachen und zu sich selbst kommen. Sonst muß wohl der treue Volkslehrer das beste thun, solche Krankheiten durch Popularitaͤt im Predigen, Katechisiren und Hausbesuchen, zu heilen und vorzubeugen suchen. Aecht populaͤre Prediger, die zu diesem
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erschoͤpft. Religion kennt er, aber hat sie nicht, haͤlt sie fuͤr ein Hirngespenst, und stoͤßt sie von sich, wo sie seine Schritte zuͤgeln will. Die gemeine Menschenehre ist ihm Thorheit; Wohlstand, Beifall, Glauben, Zutrauen des Naͤchsten sucht er nicht; seine Luͤste zu froͤhnen, ohne Einschraͤnkung zuͤgellos zu leben, nur das ist sein einziges Augenmerk, das Ziel der Ehre wohin er strebt. Zwangmittel sind bisher fruchtlos gewesen, und moralische als die einzigen aͤchten Besserungsmittel fuͤr den Menschen, werden fruchtlos bleiben. Koͤmmt einmal sein Sterbelager naͤher, so moͤchte hoͤchstens eine erzwungene Galgenbuße seine Miene froͤmmer machen, aber sicher sein Herz nicht bessern, seine Seele nicht heilen. Wollen wir kein Wunderwerk annehmen, so kann diese durchaus erkrankte Seele schwerlich auf dem natuͤrlichen Wege der Besserung durch neue Kultur der Seelenkraͤfte gebessert werden. Ein Arbeits- lieber Besserungs- als Zuchthaus, wo ein solcher Mensch mehrere Jahre im Stillen ohne alle Gesellschaft fleißig arbeiten muͤßte, waͤre die beste Kur und zugleich Wohlthat fuͤr den Staat. Jn Gesellschaft zu arbeiten wuͤrde ein solcher Mensch sicher der alte bleiben, die Seele nie recht aufwachen und zu sich selbst kommen. Sonst muß wohl der treue Volkslehrer das beste thun, solche Krankheiten durch Popularitaͤt im Predigen, Katechisiren und Hausbesuchen, zu heilen und vorzubeugen suchen. Aecht populaͤre Prediger, die zu diesem<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
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erschoͤpft. Religion kennt er, aber hat sie nicht, haͤlt sie fuͤr ein Hirngespenst, und stoͤßt sie von sich, wo sie seine Schritte zuͤgeln will. Die gemeine Menschenehre ist ihm Thorheit; Wohlstand, Beifall, Glauben, Zutrauen des Naͤchsten sucht er nicht; seine Luͤste zu froͤhnen, ohne Einschraͤnkung zuͤgellos zu leben, nur das ist sein einziges Augenmerk, das Ziel der Ehre wohin er strebt. Zwangmittel sind bisher fruchtlos gewesen, und moralische als die einzigen aͤchten Besserungsmittel fuͤr den Menschen, werden fruchtlos bleiben. Koͤmmt einmal sein Sterbelager naͤher, so moͤchte hoͤchstens eine erzwungene Galgenbuße seine Miene froͤmmer machen, aber sicher sein Herz nicht bessern, seine Seele nicht heilen. Wollen wir kein Wunderwerk annehmen, so kann diese durchaus erkrankte Seele schwerlich auf dem natuͤrlichen Wege der Besserung durch neue Kultur der Seelenkraͤfte gebessert werden. Ein Arbeits- lieber Besserungs- als Zuchthaus, wo ein solcher Mensch mehrere Jahre im Stillen ohne alle Gesellschaft fleißig arbeiten muͤßte, waͤre die beste Kur und zugleich Wohlthat fuͤr den Staat. Jn Gesellschaft zu arbeiten wuͤrde ein solcher Mensch sicher der alte bleiben, die Seele nie recht aufwachen und zu sich selbst kommen. Sonst muß wohl der treue Volkslehrer das beste thun, solche Krankheiten durch Popularitaͤt im Predigen, Katechisiren und Hausbesuchen, zu heilen und vorzubeugen suchen. Aecht populaͤre Prediger, die zu diesem
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/37>, abgerufen am 16.02.2025.
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