Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.
Den folgenden Frühling ließ ich, nicht des Nachts (ich wüßte nicht, warum ich, der ich hier keinen Schatz suchte, die Geisterstunde hätte wählen sollen) sondern an einem schönen Tage und in Beiseyn mehrerer noch lebenden Personen, auf dem Platze nachgraben, und wir fanden würklich ungefähr fünf Fuß in der Erde, unter einer isolirten Schichte Kalchs, sehr vollständige Reste eines menschlichen Gerippes, wobei besonders der Schedel und die Kinnbacken mit den Zähnen noch ganz erhalten waren. Wahr ists, daß mein schätzbarer Freund, den ich nach dieser Operation auf die Stelle führte, nicht die mindeste Abneigung oder Erschütterung mehr spüren ließ, und daß ich nachher noch mehr als einmal Gelegenheit hatte, mich zu überzeugen, daß sein Nervensystem durch die Ausdünstungen auch von alten Gräbern, auf eine mir unerklärliche Art angegriffen wurde. Dabei besitzt er ein äußerst scharfes Gesicht und kann noch jezt sich des Nachts überall ohne Licht finden. Da Herrn daran gelegen seyn muß, lauter getreue Thatsachen zu liefern, so willige ich sehr gerne darein, daß ihm gegenwärtige Erläuterungen und Zusätze mitgetheilt werden. Die übrigen Umstände seiner Erzählung sind der Wahrheit Moritz
Den folgenden Fruͤhling ließ ich, nicht des Nachts (ich wuͤßte nicht, warum ich, der ich hier keinen Schatz suchte, die Geisterstunde haͤtte waͤhlen sollen) sondern an einem schoͤnen Tage und in Beiseyn mehrerer noch lebenden Personen, auf dem Platze nachgraben, und wir fanden wuͤrklich ungefaͤhr fuͤnf Fuß in der Erde, unter einer isolirten Schichte Kalchs, sehr vollstaͤndige Reste eines menschlichen Gerippes, wobei besonders der Schedel und die Kinnbacken mit den Zaͤhnen noch ganz erhalten waren. Wahr ists, daß mein schaͤtzbarer Freund, den ich nach dieser Operation auf die Stelle fuͤhrte, nicht die mindeste Abneigung oder Erschuͤtterung mehr spuͤren ließ, und daß ich nachher noch mehr als einmal Gelegenheit hatte, mich zu uͤberzeugen, daß sein Nervensystem durch die Ausduͤnstungen auch von alten Graͤbern, auf eine mir unerklaͤrliche Art angegriffen wurde. Dabei besitzt er ein aͤußerst scharfes Gesicht und kann noch jezt sich des Nachts uͤberall ohne Licht finden. Da Herrn daran gelegen seyn muß, lauter getreue Thatsachen zu liefern, so willige ich sehr gerne darein, daß ihm gegenwaͤrtige Erlaͤuterungen und Zusaͤtze mitgetheilt werden. Die uͤbrigen Umstaͤnde seiner Erzaͤhlung sind der Wahrheit Moritz <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0025" n="25"/><lb/> noch des andern Tages bemerkte Jedermann die Todesblaͤsse seines Gesichtes.</p> <p>Den folgenden Fruͤhling ließ ich, nicht des Nachts (ich wuͤßte nicht, warum ich, der ich hier keinen Schatz suchte, die Geisterstunde haͤtte waͤhlen sollen) sondern an einem schoͤnen Tage und in Beiseyn mehrerer noch lebenden Personen, auf dem Platze nachgraben, und wir fanden wuͤrklich ungefaͤhr fuͤnf Fuß in der Erde, unter einer isolirten Schichte Kalchs, sehr vollstaͤndige Reste eines menschlichen Gerippes, wobei besonders der Schedel und die Kinnbacken mit den Zaͤhnen noch ganz erhalten waren.</p> <p>Wahr ists, daß mein schaͤtzbarer Freund, den ich nach dieser Operation auf die Stelle fuͤhrte, nicht die mindeste Abneigung oder Erschuͤtterung mehr spuͤren ließ, und daß ich nachher noch mehr als einmal Gelegenheit hatte, mich zu uͤberzeugen, daß sein Nervensystem durch die Ausduͤnstungen auch von alten Graͤbern, auf eine mir unerklaͤrliche Art angegriffen wurde. Dabei besitzt er ein aͤußerst scharfes Gesicht und kann noch jezt sich des Nachts uͤberall ohne Licht finden.</p> <p>Da Herrn <persName ref="#ref1"><note type="editorial">Moritz, Karl Philipp</note>Moritz</persName> daran gelegen seyn muß, lauter getreue Thatsachen zu liefern, so willige ich sehr gerne darein, daß ihm gegenwaͤrtige Erlaͤuterungen und Zusaͤtze mitgetheilt werden. Die uͤbrigen Umstaͤnde seiner Erzaͤhlung sind der Wahrheit<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [25/0025]
noch des andern Tages bemerkte Jedermann die Todesblaͤsse seines Gesichtes.
Den folgenden Fruͤhling ließ ich, nicht des Nachts (ich wuͤßte nicht, warum ich, der ich hier keinen Schatz suchte, die Geisterstunde haͤtte waͤhlen sollen) sondern an einem schoͤnen Tage und in Beiseyn mehrerer noch lebenden Personen, auf dem Platze nachgraben, und wir fanden wuͤrklich ungefaͤhr fuͤnf Fuß in der Erde, unter einer isolirten Schichte Kalchs, sehr vollstaͤndige Reste eines menschlichen Gerippes, wobei besonders der Schedel und die Kinnbacken mit den Zaͤhnen noch ganz erhalten waren.
Wahr ists, daß mein schaͤtzbarer Freund, den ich nach dieser Operation auf die Stelle fuͤhrte, nicht die mindeste Abneigung oder Erschuͤtterung mehr spuͤren ließ, und daß ich nachher noch mehr als einmal Gelegenheit hatte, mich zu uͤberzeugen, daß sein Nervensystem durch die Ausduͤnstungen auch von alten Graͤbern, auf eine mir unerklaͤrliche Art angegriffen wurde. Dabei besitzt er ein aͤußerst scharfes Gesicht und kann noch jezt sich des Nachts uͤberall ohne Licht finden.
Da Herrn Moritz daran gelegen seyn muß, lauter getreue Thatsachen zu liefern, so willige ich sehr gerne darein, daß ihm gegenwaͤrtige Erlaͤuterungen und Zusaͤtze mitgetheilt werden. Die uͤbrigen Umstaͤnde seiner Erzaͤhlung sind der Wahrheit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |