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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

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An diese Betrachtungen, die ich oft angestellt habe, ohne an meiner Ruhe dadurch etwas zu verliehren, schlossen sich die Jdeen von einer Unsterblichkeit der Seele oft so lebhaft an, daß ich nicht selten einen Wunsch in mir empfand, sogleich aus der Reihe sichtbarer Wesen ausgetilgt zu werden, um über diesen wichtigen Punct zu irgend einer Gewißheit zu kommen, die mir kein Philosoph verschaffen konnte. Jch hatte fleißig das Vorzüglichste gelesen, was hierüber in den Werken älterer und neuerer Weltweisen vorkam; aber ich fühlte immer noch den Mangel an Evidenz, die ich suchte, und die Prämissen jener philosophischen Untersuchungen wurden in meiner Seele jedesmal durch eine Menge von Zweifeln niedergerissen, denen ich nicht widerstehen konnte, und die mir nicht selten viel wichtiger, als die Gründe vorkamen, wodurch man eine Unsterblichkeit der Seele darthun wollte. Jch suchte mir endlich auf einem eigenen Wege Gründe für die Unsterblichkeit zu verschaffen, die wenigstens mir stärker, als die bisherigen schienen, und diese Gründe bemühte ich mich aus dem Jnteresse herzuleiten, welches die Gottheit an unserm Daseyn, als Urheber desselben haben müsse, und ohne welches ich mir nie die Gottheit denken konnte. "Es würde, so schloß ich, der höchsten moralischen Vollkommenheit Gottes eine Realität stehlen, wenn sie auch nur eine einzige denkende Kraft, die mit allen übrigen denkenden Kräften in der Gottheit gleichsam


An diese Betrachtungen, die ich oft angestellt habe, ohne an meiner Ruhe dadurch etwas zu verliehren, schlossen sich die Jdeen von einer Unsterblichkeit der Seele oft so lebhaft an, daß ich nicht selten einen Wunsch in mir empfand, sogleich aus der Reihe sichtbarer Wesen ausgetilgt zu werden, um uͤber diesen wichtigen Punct zu irgend einer Gewißheit zu kommen, die mir kein Philosoph verschaffen konnte. Jch hatte fleißig das Vorzuͤglichste gelesen, was hieruͤber in den Werken aͤlterer und neuerer Weltweisen vorkam; aber ich fuͤhlte immer noch den Mangel an Evidenz, die ich suchte, und die Praͤmissen jener philosophischen Untersuchungen wurden in meiner Seele jedesmal durch eine Menge von Zweifeln niedergerissen, denen ich nicht widerstehen konnte, und die mir nicht selten viel wichtiger, als die Gruͤnde vorkamen, wodurch man eine Unsterblichkeit der Seele darthun wollte. Jch suchte mir endlich auf einem eigenen Wege Gruͤnde fuͤr die Unsterblichkeit zu verschaffen, die wenigstens mir staͤrker, als die bisherigen schienen, und diese Gruͤnde bemuͤhte ich mich aus dem Jnteresse herzuleiten, welches die Gottheit an unserm Daseyn, als Urheber desselben haben muͤsse, und ohne welches ich mir nie die Gottheit denken konnte. »Es wuͤrde, so schloß ich, der hoͤchsten moralischen Vollkommenheit Gottes eine Realitaͤt stehlen, wenn sie auch nur eine einzige denkende Kraft, die mit allen uͤbrigen denkenden Kraͤften in der Gottheit gleichsam

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[123/0123] An diese Betrachtungen, die ich oft angestellt habe, ohne an meiner Ruhe dadurch etwas zu verliehren, schlossen sich die Jdeen von einer Unsterblichkeit der Seele oft so lebhaft an, daß ich nicht selten einen Wunsch in mir empfand, sogleich aus der Reihe sichtbarer Wesen ausgetilgt zu werden, um uͤber diesen wichtigen Punct zu irgend einer Gewißheit zu kommen, die mir kein Philosoph verschaffen konnte. Jch hatte fleißig das Vorzuͤglichste gelesen, was hieruͤber in den Werken aͤlterer und neuerer Weltweisen vorkam; aber ich fuͤhlte immer noch den Mangel an Evidenz, die ich suchte, und die Praͤmissen jener philosophischen Untersuchungen wurden in meiner Seele jedesmal durch eine Menge von Zweifeln niedergerissen, denen ich nicht widerstehen konnte, und die mir nicht selten viel wichtiger, als die Gruͤnde vorkamen, wodurch man eine Unsterblichkeit der Seele darthun wollte. Jch suchte mir endlich auf einem eigenen Wege Gruͤnde fuͤr die Unsterblichkeit zu verschaffen, die wenigstens mir staͤrker, als die bisherigen schienen, und diese Gruͤnde bemuͤhte ich mich aus dem Jnteresse herzuleiten, welches die Gottheit an unserm Daseyn, als Urheber desselben haben muͤsse, und ohne welches ich mir nie die Gottheit denken konnte. »Es wuͤrde, so schloß ich, der hoͤchsten moralischen Vollkommenheit Gottes eine Realitaͤt stehlen, wenn sie auch nur eine einzige denkende Kraft, die mit allen uͤbrigen denkenden Kraͤften in der Gottheit gleichsam

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/123>, abgerufen am 12.12.2024.