Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite


sie gehen lassen; im zweiten Fall aber habe ich sie hassen müssen, weil ich sie für falsch hielt. Ein zu gefälliges, zu herablaßendes und gütiges Wesen, welches man nicht selten bei den besten Menschen und Köpfen antrift, hat mir oft an den besten Menschen und Köpfen verdächtig geschienen, und ich habe längere Zeit mit ihnen umgehen müssen, um über jene Empfindung Herr zu werden, wenn ich nicht anders wußte, daß jenes herablaßende Wesen ein Fehler ihrer Erziehung oder ihrer unschuldigen Eitelkeit war. Mit höchstem Unwillen bin ich oft von Männern geschieden, die mich mit einer übertriebenen Höflichkeit empfiengen, sie hätten mir Grobheiten sagen können, und ich würde es ihnen viel eher vergeben haben. Jch muß hier eine allgemeine Anmerkung machen. Die meisten großen Köpfe haben keine oder herzlich wenig äußere Lebensart, (ich rede hier vorzüglich von Gelehrten) aber desto mehr Eitelkeit. Sie wollen einen jeden zu ihrem Lobredner machen, und geben sich daher jene so gütige, herablaßende, gefällige Miene, die wir an ihnen so leicht gewahr werden, und die uns oft ekelhaft wird, weil hinter ihr eine bäuerische Erziehung hervorleuchtet. Die Bewunderung sieht diesen Schnitzer nicht, hält sie für Originalität; aber der feinere Menschenbeobachter weiß sehr gut, in welche Classe von Handlungen er das Benehmen des großen Mannes hinstellen soll. Jeder Mensch hängt einen Schild aus, woran man ihn erkennen


sie gehen lassen; im zweiten Fall aber habe ich sie hassen muͤssen, weil ich sie fuͤr falsch hielt. Ein zu gefaͤlliges, zu herablaßendes und guͤtiges Wesen, welches man nicht selten bei den besten Menschen und Koͤpfen antrift, hat mir oft an den besten Menschen und Koͤpfen verdaͤchtig geschienen, und ich habe laͤngere Zeit mit ihnen umgehen muͤssen, um uͤber jene Empfindung Herr zu werden, wenn ich nicht anders wußte, daß jenes herablaßende Wesen ein Fehler ihrer Erziehung oder ihrer unschuldigen Eitelkeit war. Mit hoͤchstem Unwillen bin ich oft von Maͤnnern geschieden, die mich mit einer uͤbertriebenen Hoͤflichkeit empfiengen, sie haͤtten mir Grobheiten sagen koͤnnen, und ich wuͤrde es ihnen viel eher vergeben haben. Jch muß hier eine allgemeine Anmerkung machen. Die meisten großen Koͤpfe haben keine oder herzlich wenig aͤußere Lebensart, (ich rede hier vorzuͤglich von Gelehrten) aber desto mehr Eitelkeit. Sie wollen einen jeden zu ihrem Lobredner machen, und geben sich daher jene so guͤtige, herablaßende, gefaͤllige Miene, die wir an ihnen so leicht gewahr werden, und die uns oft ekelhaft wird, weil hinter ihr eine baͤuerische Erziehung hervorleuchtet. Die Bewunderung sieht diesen Schnitzer nicht, haͤlt sie fuͤr Originalitaͤt; aber der feinere Menschenbeobachter weiß sehr gut, in welche Classe von Handlungen er das Benehmen des großen Mannes hinstellen soll. Jeder Mensch haͤngt einen Schild aus, woran man ihn erkennen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0119" n="119"/><lb/>
sie gehen lassen; im zweiten Fall aber habe ich sie                         hassen mu&#x0364;ssen, weil ich sie fu&#x0364;r falsch hielt. Ein zu gefa&#x0364;lliges, zu                         herablaßendes und gu&#x0364;tiges Wesen, welches man nicht selten bei den besten                         Menschen und Ko&#x0364;pfen antrift, hat mir oft an den besten Menschen und Ko&#x0364;pfen <hi rendition="#b">verda&#x0364;chtig</hi> geschienen, und ich habe la&#x0364;ngere                         Zeit mit ihnen umgehen mu&#x0364;ssen, um u&#x0364;ber jene Empfindung Herr zu werden, wenn                         ich nicht anders wußte, daß jenes herablaßende Wesen ein Fehler ihrer                         Erziehung oder ihrer unschuldigen Eitelkeit war. Mit ho&#x0364;chstem Unwillen bin                         ich oft von Ma&#x0364;nnern geschieden, die mich mit einer u&#x0364;bertriebenen Ho&#x0364;flichkeit                         empfiengen, sie ha&#x0364;tten mir Grobheiten sagen ko&#x0364;nnen, und ich wu&#x0364;rde es ihnen                         viel eher vergeben haben. Jch muß hier eine allgemeine Anmerkung machen. Die                         meisten großen Ko&#x0364;pfe haben keine oder herzlich wenig a&#x0364;ußere Lebensart, (ich                         rede hier vorzu&#x0364;glich von Gelehrten) aber desto mehr Eitelkeit. Sie wollen                         einen jeden zu ihrem Lobredner machen, und geben sich daher jene so gu&#x0364;tige,                         herablaßende, gefa&#x0364;llige Miene, die wir an ihnen so leicht gewahr werden, und                         die uns oft ekelhaft wird, weil hinter ihr eine ba&#x0364;uerische Erziehung                         hervorleuchtet. Die Bewunderung sieht diesen Schnitzer nicht, ha&#x0364;lt sie fu&#x0364;r                         Originalita&#x0364;t; aber der feinere Menschenbeobachter weiß sehr gut, in welche                         Classe von Handlungen er das Benehmen des großen Mannes hinstellen soll.                         Jeder Mensch ha&#x0364;ngt einen Schild aus, woran man ihn erkennen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0119] sie gehen lassen; im zweiten Fall aber habe ich sie hassen muͤssen, weil ich sie fuͤr falsch hielt. Ein zu gefaͤlliges, zu herablaßendes und guͤtiges Wesen, welches man nicht selten bei den besten Menschen und Koͤpfen antrift, hat mir oft an den besten Menschen und Koͤpfen verdaͤchtig geschienen, und ich habe laͤngere Zeit mit ihnen umgehen muͤssen, um uͤber jene Empfindung Herr zu werden, wenn ich nicht anders wußte, daß jenes herablaßende Wesen ein Fehler ihrer Erziehung oder ihrer unschuldigen Eitelkeit war. Mit hoͤchstem Unwillen bin ich oft von Maͤnnern geschieden, die mich mit einer uͤbertriebenen Hoͤflichkeit empfiengen, sie haͤtten mir Grobheiten sagen koͤnnen, und ich wuͤrde es ihnen viel eher vergeben haben. Jch muß hier eine allgemeine Anmerkung machen. Die meisten großen Koͤpfe haben keine oder herzlich wenig aͤußere Lebensart, (ich rede hier vorzuͤglich von Gelehrten) aber desto mehr Eitelkeit. Sie wollen einen jeden zu ihrem Lobredner machen, und geben sich daher jene so guͤtige, herablaßende, gefaͤllige Miene, die wir an ihnen so leicht gewahr werden, und die uns oft ekelhaft wird, weil hinter ihr eine baͤuerische Erziehung hervorleuchtet. Die Bewunderung sieht diesen Schnitzer nicht, haͤlt sie fuͤr Originalitaͤt; aber der feinere Menschenbeobachter weiß sehr gut, in welche Classe von Handlungen er das Benehmen des großen Mannes hinstellen soll. Jeder Mensch haͤngt einen Schild aus, woran man ihn erkennen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/119
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/119>, abgerufen am 04.12.2024.