Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite


strengte, damals schon wirklich wußte, und sich ihn, nicht zu wissen, nur eingebildet habe, er konnte ja ihn bei aller Anstrengung in dem Momente wirklich nicht herausbringen. Vielmehr ists mir sehr wahrscheinlich, und anders läßt sich dieß Phänomen wohl nicht erklären, -- daß der junge Schüler in dem Moment, daß der andre die Frage zu beantworten anfing, die Beantwortung selbst sogleich fand, und da er sie selbst nicht geschwind genug mittheilen konnte, sie dann dem zweiten Schüler in den Mund legte. Es läßt sich nicht begreifen, daß die menschliche Seele zu gleicher Zeit etwas wissen und auch nicht wissen sollte, und es wäre ein unerhörter Grad der Einbildungskraft, daß wir uns einen Gedanken als nicht existirend in uns denken sollten, dessen Daseyn wir doch wirklich in uns wahrnehmen.

Vielleicht war auch das erste Wort, das der zweite Schüler aussprach, und das die Seele des ersten dem andern auch wohl nur zufällig in den Mund legte, eine gelegentliche Ursach, daß durch eine Association der Jdeen der Sinn der Phrases vom Verfasser hinterher gefunden wurde; eine Erscheinung, die nichts ungewöhnliches im Traume ist. Wir träumen, daß der andre etwas wissen könne, was wir sonst gewußt haben, worauf wir aber in dem Augenblick uns nicht gleich besinnen können -- und lassen dann durch eine Verwechselung unsrer Person mit einer andern, ihr (der letztern) etwas


strengte, damals schon wirklich wußte, und sich ihn, nicht zu wissen, nur eingebildet habe, er konnte ja ihn bei aller Anstrengung in dem Momente wirklich nicht herausbringen. Vielmehr ists mir sehr wahrscheinlich, und anders laͤßt sich dieß Phaͤnomen wohl nicht erklaͤren, — daß der junge Schuͤler in dem Moment, daß der andre die Frage zu beantworten anfing, die Beantwortung selbst sogleich fand, und da er sie selbst nicht geschwind genug mittheilen konnte, sie dann dem zweiten Schuͤler in den Mund legte. Es laͤßt sich nicht begreifen, daß die menschliche Seele zu gleicher Zeit etwas wissen und auch nicht wissen sollte, und es waͤre ein unerhoͤrter Grad der Einbildungskraft, daß wir uns einen Gedanken als nicht existirend in uns denken sollten, dessen Daseyn wir doch wirklich in uns wahrnehmen.

Vielleicht war auch das erste Wort, das der zweite Schuͤler aussprach, und das die Seele des ersten dem andern auch wohl nur zufaͤllig in den Mund legte, eine gelegentliche Ursach, daß durch eine Association der Jdeen der Sinn der Phrases vom Verfasser hinterher gefunden wurde; eine Erscheinung, die nichts ungewoͤhnliches im Traume ist. Wir traͤumen, daß der andre etwas wissen koͤnne, was wir sonst gewußt haben, worauf wir aber in dem Augenblick uns nicht gleich besinnen koͤnnen — und lassen dann durch eine Verwechselung unsrer Person mit einer andern, ihr (der letztern) etwas

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0026" n="24"/><lb/>
strengte, damals schon <hi rendition="#b">wirklich wußte,</hi> und sich ihn, nicht zu wissen, nur eingebildet habe, er konnte ja ihn bei                         aller Anstrengung in dem Momente wirklich nicht herausbringen. Vielmehr ists                         mir sehr wahrscheinlich, und anders la&#x0364;ßt sich dieß Pha&#x0364;nomen wohl nicht                         erkla&#x0364;ren, &#x2014; daß der junge Schu&#x0364;ler in dem Moment, daß der <hi rendition="#b">andre</hi> die Frage zu beantworten anfing, die Beantwortung selbst                         sogleich fand, und da er sie selbst nicht geschwind genug mittheilen konnte,                         sie dann dem zweiten Schu&#x0364;ler in den Mund legte. Es la&#x0364;ßt sich nicht                         begreifen, daß die menschliche Seele zu gleicher Zeit etwas wissen und auch                         nicht wissen sollte, und es wa&#x0364;re ein unerho&#x0364;rter Grad der Einbildungskraft,                         daß wir uns einen Gedanken als nicht existirend in uns denken sollten,                         dessen Daseyn wir doch wirklich in uns wahrnehmen.</p>
            <p>Vielleicht war auch das <hi rendition="#b">erste</hi> Wort, das der zweite                         Schu&#x0364;ler aussprach, und das die Seele des ersten dem andern auch wohl nur <hi rendition="#b">zufa&#x0364;llig</hi> in den Mund legte, eine gelegentliche                         Ursach, daß durch eine Association der Jdeen der Sinn der Phrases vom                         Verfasser hinterher gefunden wurde; eine Erscheinung, die nichts                         ungewo&#x0364;hnliches im Traume ist. Wir tra&#x0364;umen, daß der andre etwas wissen <hi rendition="#b">ko&#x0364;nne,</hi> was wir sonst gewußt haben, worauf wir aber in                         dem Augenblick uns nicht gleich besinnen ko&#x0364;nnen &#x2014; und lassen dann durch eine                         Verwechselung unsrer Person mit einer andern, ihr (der letztern) etwas<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0026] strengte, damals schon wirklich wußte, und sich ihn, nicht zu wissen, nur eingebildet habe, er konnte ja ihn bei aller Anstrengung in dem Momente wirklich nicht herausbringen. Vielmehr ists mir sehr wahrscheinlich, und anders laͤßt sich dieß Phaͤnomen wohl nicht erklaͤren, — daß der junge Schuͤler in dem Moment, daß der andre die Frage zu beantworten anfing, die Beantwortung selbst sogleich fand, und da er sie selbst nicht geschwind genug mittheilen konnte, sie dann dem zweiten Schuͤler in den Mund legte. Es laͤßt sich nicht begreifen, daß die menschliche Seele zu gleicher Zeit etwas wissen und auch nicht wissen sollte, und es waͤre ein unerhoͤrter Grad der Einbildungskraft, daß wir uns einen Gedanken als nicht existirend in uns denken sollten, dessen Daseyn wir doch wirklich in uns wahrnehmen. Vielleicht war auch das erste Wort, das der zweite Schuͤler aussprach, und das die Seele des ersten dem andern auch wohl nur zufaͤllig in den Mund legte, eine gelegentliche Ursach, daß durch eine Association der Jdeen der Sinn der Phrases vom Verfasser hinterher gefunden wurde; eine Erscheinung, die nichts ungewoͤhnliches im Traume ist. Wir traͤumen, daß der andre etwas wissen koͤnne, was wir sonst gewußt haben, worauf wir aber in dem Augenblick uns nicht gleich besinnen koͤnnen — und lassen dann durch eine Verwechselung unsrer Person mit einer andern, ihr (der letztern) etwas

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0701_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0701_1789/26
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0701_1789/26>, abgerufen am 23.11.2024.