Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789.
Jch sahe denjenigen, der nach mir saß, Zeichen der Ungeduld von sich geben, um befragt zu werden; -- ein Beweis, daß er die Antwort wußte. -- Der Gedanke, an diesen meine Stelle abtreten zu müssen, setzte mich beinahe in eine Art von Wuth; aber ich suchte vergebens in meinem Kopfe nach, und konnte den Sinn der Phrases auf keine Weise herausbringen. Der Lehrer ermüdete endlich, mir länger Zeit zu lassen, und sagte zu dem Folgenden: nun ists an Dir. Und der Schüler setzte sogleich den Sinn der Phrases deutlich auseinander, und diese Auseinandersetzung war so einfach, daß ich gar nicht begreifen konnte, wie ich nicht darauf hatte verfallen können." -- Der Herr Verfasser setzt am Ende hinzu: "daß es ihm unbegreiflich sey, wie die Seele, welche mit der größten Anstrengung vergebens etwas sucht, in einer Minute, oder vielmehr in einer Secunde, die Seele werden kann, die eben dieselbe Sache sehr gut weiß, indem sie sich zugleich einbildet, es selbst nicht zu wissen, sondern es eine andre sagen zu hören." Jch glaube nicht, daß der Herr Verfasser den Sinn der Phrases, indem er sich ihn zu finden an-
Jch sahe denjenigen, der nach mir saß, Zeichen der Ungeduld von sich geben, um befragt zu werden; — ein Beweis, daß er die Antwort wußte. — Der Gedanke, an diesen meine Stelle abtreten zu muͤssen, setzte mich beinahe in eine Art von Wuth; aber ich suchte vergebens in meinem Kopfe nach, und konnte den Sinn der Phrases auf keine Weise herausbringen. Der Lehrer ermuͤdete endlich, mir laͤnger Zeit zu lassen, und sagte zu dem Folgenden: nun ists an Dir. Und der Schuͤler setzte sogleich den Sinn der Phrases deutlich auseinander, und diese Auseinandersetzung war so einfach, daß ich gar nicht begreifen konnte, wie ich nicht darauf hatte verfallen koͤnnen.« — Der Herr Verfasser setzt am Ende hinzu: »daß es ihm unbegreiflich sey, wie die Seele, welche mit der groͤßten Anstrengung vergebens etwas sucht, in einer Minute, oder vielmehr in einer Secunde, die Seele werden kann, die eben dieselbe Sache sehr gut weiß, indem sie sich zugleich einbildet, es selbst nicht zu wissen, sondern es eine andre sagen zu hoͤren.« Jch glaube nicht, daß der Herr Verfasser den Sinn der Phrases, indem er sich ihn zu finden an- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0025" n="23"/><lb/> vergebens den Kopf, um die Antwort darauf zu finden.</p> <p>Jch sahe denjenigen, der nach mir saß, Zeichen der Ungeduld von sich geben, um befragt zu werden; — ein Beweis, daß er die Antwort wußte. —</p> <p>Der Gedanke, an diesen meine Stelle abtreten zu muͤssen, setzte mich beinahe in eine Art von Wuth; aber ich suchte vergebens in meinem Kopfe nach, und konnte den Sinn der Phrases auf keine Weise herausbringen.</p> <p>Der Lehrer ermuͤdete endlich, mir laͤnger Zeit zu lassen, und sagte zu dem Folgenden: nun ists an Dir.</p> <p><hi rendition="#b">Und der Schuͤler setzte sogleich den Sinn der Phrases deutlich auseinander,</hi> und diese Auseinandersetzung war so einfach, daß ich gar nicht begreifen konnte, wie ich nicht darauf hatte verfallen koͤnnen.« —</p> <p>Der Herr Verfasser setzt am Ende hinzu: »daß es ihm unbegreiflich sey, wie die Seele, welche mit der groͤßten Anstrengung vergebens etwas sucht, in einer Minute, oder vielmehr in einer Secunde, die Seele werden kann, die eben dieselbe Sache sehr gut weiß, indem sie sich zugleich einbildet, es selbst nicht zu wissen, sondern es eine andre sagen zu hoͤren.«</p> <p>Jch glaube nicht, daß der Herr Verfasser den Sinn der Phrases, indem er sich ihn zu finden an-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [23/0025]
vergebens den Kopf, um die Antwort darauf zu finden.
Jch sahe denjenigen, der nach mir saß, Zeichen der Ungeduld von sich geben, um befragt zu werden; — ein Beweis, daß er die Antwort wußte. —
Der Gedanke, an diesen meine Stelle abtreten zu muͤssen, setzte mich beinahe in eine Art von Wuth; aber ich suchte vergebens in meinem Kopfe nach, und konnte den Sinn der Phrases auf keine Weise herausbringen.
Der Lehrer ermuͤdete endlich, mir laͤnger Zeit zu lassen, und sagte zu dem Folgenden: nun ists an Dir.
Und der Schuͤler setzte sogleich den Sinn der Phrases deutlich auseinander, und diese Auseinandersetzung war so einfach, daß ich gar nicht begreifen konnte, wie ich nicht darauf hatte verfallen koͤnnen.« —
Der Herr Verfasser setzt am Ende hinzu: »daß es ihm unbegreiflich sey, wie die Seele, welche mit der groͤßten Anstrengung vergebens etwas sucht, in einer Minute, oder vielmehr in einer Secunde, die Seele werden kann, die eben dieselbe Sache sehr gut weiß, indem sie sich zugleich einbildet, es selbst nicht zu wissen, sondern es eine andre sagen zu hoͤren.«
Jch glaube nicht, daß der Herr Verfasser den Sinn der Phrases, indem er sich ihn zu finden an-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0701_1789/25>, abgerufen am 17.02.2025. |