Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.
Die so oft aufgeworfene Frag: ob die menschliche Seele durch eine gewisse Veranlassung, oder ohne Veranlassung zu träumen anfange; ob erst ein äußerer materieller Eindruck, oder doch wenigstens ein gewisser erster aus ihr selbst hervorleuchtender Begrif dazu gehöre, um sie während des Schlafs in Bewegung zu setzen; oder ob das Träumen nur eine Continuation des Denkens während des Wachens sey, davon wir beim Einschlafen das deutliche Bewußtseyn verlöhren, bis es im Traum wieder auf einmal wie eine halb verlöschte Flamme hervorbräche? -- will ich hier nicht weitläuftig untersuchen; ich denke man kann alle Fälle annehmen, oder auch nicht annehmen, ohne daß die psychologische Darstellung des Traums dadurch etwas gewinnt, oder verliehrt. Da wir aus eigener Erfahrung wissen, daß wir bisweilen mitten im Wachen zu denken aufhören, es mögen Gegenstände des Nachdenkens vorhanden oder nicht vorhanden seyn, und daß sehr oft die Seele neue Jdeen gleichsam aus dem Nichts nach jenen Jntervallen wieder
Die so oft aufgeworfene Frag: ob die menschliche Seele durch eine gewisse Veranlassung, oder ohne Veranlassung zu traͤumen anfange; ob erst ein aͤußerer materieller Eindruck, oder doch wenigstens ein gewisser erster aus ihr selbst hervorleuchtender Begrif dazu gehoͤre, um sie waͤhrend des Schlafs in Bewegung zu setzen; oder ob das Traͤumen nur eine Continuation des Denkens waͤhrend des Wachens sey, davon wir beim Einschlafen das deutliche Bewußtseyn verloͤhren, bis es im Traum wieder auf einmal wie eine halb verloͤschte Flamme hervorbraͤche? — will ich hier nicht weitlaͤuftig untersuchen; ich denke man kann alle Faͤlle annehmen, oder auch nicht annehmen, ohne daß die psychologische Darstellung des Traums dadurch etwas gewinnt, oder verliehrt. Da wir aus eigener Erfahrung wissen, daß wir bisweilen mitten im Wachen zu denken aufhoͤren, es moͤgen Gegenstaͤnde des Nachdenkens vorhanden oder nicht vorhanden seyn, und daß sehr oft die Seele neue Jdeen gleichsam aus dem Nichts nach jenen Jntervallen wieder <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0077" n="77"/><lb/><choice><corr>Phaͤnomen</corr><sic>Phoͤnomen</sic></choice> auszeichnet, hier nur gleichsam abgebrochen den Lesern dieses Magazins mittheilen, indem ich mir vorbehalte, uͤber die Natur des Traums, sonderlich da, wo die Seele bisweilen ihrer natuͤrlichen Denkordnung und Denkform zuwider zu handeln scheint, im folgenden etwas Ausfuͤhrlicheres zu liefern.</p> <p>Die so oft aufgeworfene Frag: ob die menschliche Seele <hi rendition="#b">durch</hi> eine gewisse Veranlassung, oder <hi rendition="#b">ohne</hi> Veranlassung zu traͤumen anfange; ob erst ein aͤußerer materieller Eindruck, oder doch wenigstens ein gewisser <hi rendition="#b">erster</hi> aus ihr selbst hervorleuchtender Begrif dazu gehoͤre, um sie waͤhrend des Schlafs in Bewegung zu setzen; oder ob das Traͤumen nur eine Continuation des Denkens waͤhrend des Wachens sey, davon wir beim Einschlafen das deutliche Bewußtseyn verloͤhren, bis es im Traum wieder auf einmal wie eine halb verloͤschte Flamme hervorbraͤche? — will ich hier nicht weitlaͤuftig untersuchen; ich denke man kann alle Faͤlle annehmen, oder auch nicht annehmen, ohne daß die psychologische Darstellung des Traums dadurch etwas gewinnt, oder verliehrt. Da wir aus eigener Erfahrung wissen, daß wir bisweilen mitten im Wachen zu denken aufhoͤren, es moͤgen Gegenstaͤnde des Nachdenkens vorhanden oder nicht vorhanden seyn, und daß sehr oft die Seele neue Jdeen gleichsam aus dem Nichts nach jenen Jntervallen wieder<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [77/0077]
Phaͤnomen auszeichnet, hier nur gleichsam abgebrochen den Lesern dieses Magazins mittheilen, indem ich mir vorbehalte, uͤber die Natur des Traums, sonderlich da, wo die Seele bisweilen ihrer natuͤrlichen Denkordnung und Denkform zuwider zu handeln scheint, im folgenden etwas Ausfuͤhrlicheres zu liefern.
Die so oft aufgeworfene Frag: ob die menschliche Seele durch eine gewisse Veranlassung, oder ohne Veranlassung zu traͤumen anfange; ob erst ein aͤußerer materieller Eindruck, oder doch wenigstens ein gewisser erster aus ihr selbst hervorleuchtender Begrif dazu gehoͤre, um sie waͤhrend des Schlafs in Bewegung zu setzen; oder ob das Traͤumen nur eine Continuation des Denkens waͤhrend des Wachens sey, davon wir beim Einschlafen das deutliche Bewußtseyn verloͤhren, bis es im Traum wieder auf einmal wie eine halb verloͤschte Flamme hervorbraͤche? — will ich hier nicht weitlaͤuftig untersuchen; ich denke man kann alle Faͤlle annehmen, oder auch nicht annehmen, ohne daß die psychologische Darstellung des Traums dadurch etwas gewinnt, oder verliehrt. Da wir aus eigener Erfahrung wissen, daß wir bisweilen mitten im Wachen zu denken aufhoͤren, es moͤgen Gegenstaͤnde des Nachdenkens vorhanden oder nicht vorhanden seyn, und daß sehr oft die Seele neue Jdeen gleichsam aus dem Nichts nach jenen Jntervallen wieder
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/77>, abgerufen am 16.07.2024. |