Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite


sich selbst umzubringen, lange nicht so schwer, als er uns bei gesundem Leibe, gutem Appetit, und äussern glüklichen wenigstens erträglich guten Umständen zu seyn scheint. Aber warum richteten sich jene Menschen nicht lieber gleich selbst hin, warum mordeten sie erst andere, damit sie wieder gemordet würden --? dies kann man wohl nicht anders, als theils aus einer natürlichen Abneigung erklären, Hand an sich selbst zu legen, wenn noch Mittel vorhanden sind, daß wir dies traurige Geschäft andern überlassen können; theils aus einer religiösen Furcht, daß man durch einen Selbstmord sich gleichsam den Himmel selbst verriegeln würde, und daß man durch die Ermordung eines andern immer noch Zeit bekäme, an seiner Seligkeit zu arbeiten, was aus dem leztern Beispiel sichtbar erhellet. Ausserdem hat der Gedanke: sich selbst zu ermorden, bei aller seiner Entsezlichkeit, für den Unglüklichen, besonders hypochondrisch Unglüklichen etwas Einladendes an sich; -- der Leidende erhebt sich dadurch in seinen Gedanken über alles weg, was ihn einschränken, was seine körperlichen Leiden vermehren kann. Jhm hat kein Mensch etwas mehr zu gebieten, er kann der ganzen Welt trotzen, wenn er nicht mehr von der Todesfurcht gemartert wird. Alle Jntriguen und Bosheiten der Menschen gegen sein Glük kommen ihm wie erbärmliche Spielwerke vor; -- er darf nur einen Augenblik den Willen haben -- seinem Leben ein Ende zu machen, und er ist ewig von allen


sich selbst umzubringen, lange nicht so schwer, als er uns bei gesundem Leibe, gutem Appetit, und aͤussern gluͤklichen wenigstens ertraͤglich guten Umstaͤnden zu seyn scheint. Aber warum richteten sich jene Menschen nicht lieber gleich selbst hin, warum mordeten sie erst andere, damit sie wieder gemordet wuͤrden —? dies kann man wohl nicht anders, als theils aus einer natuͤrlichen Abneigung erklaͤren, Hand an sich selbst zu legen, wenn noch Mittel vorhanden sind, daß wir dies traurige Geschaͤft andern uͤberlassen koͤnnen; theils aus einer religioͤsen Furcht, daß man durch einen Selbstmord sich gleichsam den Himmel selbst verriegeln wuͤrde, und daß man durch die Ermordung eines andern immer noch Zeit bekaͤme, an seiner Seligkeit zu arbeiten, was aus dem leztern Beispiel sichtbar erhellet. Ausserdem hat der Gedanke: sich selbst zu ermorden, bei aller seiner Entsezlichkeit, fuͤr den Ungluͤklichen, besonders hypochondrisch Ungluͤklichen etwas Einladendes an sich; — der Leidende erhebt sich dadurch in seinen Gedanken uͤber alles weg, was ihn einschraͤnken, was seine koͤrperlichen Leiden vermehren kann. Jhm hat kein Mensch etwas mehr zu gebieten, er kann der ganzen Welt trotzen, wenn er nicht mehr von der Todesfurcht gemartert wird. Alle Jntriguen und Bosheiten der Menschen gegen sein Gluͤk kommen ihm wie erbaͤrmliche Spielwerke vor; — er darf nur einen Augenblik den Willen haben — seinem Leben ein Ende zu machen, und er ist ewig von allen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0040" n="40"/><lb/>
sich selbst umzubringen,                         lange nicht so schwer, als er uns bei gesundem Leibe, gutem Appetit, und                         a&#x0364;ussern glu&#x0364;klichen wenigstens ertra&#x0364;glich guten Umsta&#x0364;nden zu seyn scheint.                         Aber warum richteten sich jene Menschen nicht lieber gleich selbst hin,                         warum mordeten sie erst andere, damit sie wieder gemordet wu&#x0364;rden &#x2014;? dies                         kann man wohl nicht anders, als theils aus einer natu&#x0364;rlichen Abneigung                         erkla&#x0364;ren, Hand an sich selbst zu legen, wenn noch Mittel vorhanden sind, daß                         wir dies traurige Gescha&#x0364;ft andern u&#x0364;berlassen ko&#x0364;nnen; theils aus einer                         religio&#x0364;sen Furcht, daß man durch einen Selbstmord sich gleichsam den Himmel                         selbst verriegeln wu&#x0364;rde, und daß man durch die Ermordung eines andern immer                         noch Zeit beka&#x0364;me, an seiner Seligkeit zu arbeiten, was aus dem leztern                         Beispiel sichtbar erhellet. Ausserdem hat der Gedanke: sich selbst zu                         ermorden, bei aller seiner Entsezlichkeit, fu&#x0364;r den Unglu&#x0364;klichen, besonders                         hypochondrisch Unglu&#x0364;klichen etwas Einladendes an sich; &#x2014; der Leidende erhebt                         sich dadurch in seinen Gedanken u&#x0364;ber alles weg, was ihn einschra&#x0364;nken, was                         seine ko&#x0364;rperlichen Leiden vermehren kann. Jhm hat kein Mensch etwas mehr zu                         gebieten, er kann der ganzen Welt trotzen, wenn er nicht mehr von der                         Todesfurcht gemartert wird. Alle Jntriguen und Bosheiten der Menschen gegen                         sein Glu&#x0364;k kommen ihm wie erba&#x0364;rmliche Spielwerke vor; &#x2014; er darf nur einen                         Augenblik den Willen haben &#x2014; seinem Leben ein Ende zu machen, und er ist                         ewig von allen<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0040] sich selbst umzubringen, lange nicht so schwer, als er uns bei gesundem Leibe, gutem Appetit, und aͤussern gluͤklichen wenigstens ertraͤglich guten Umstaͤnden zu seyn scheint. Aber warum richteten sich jene Menschen nicht lieber gleich selbst hin, warum mordeten sie erst andere, damit sie wieder gemordet wuͤrden —? dies kann man wohl nicht anders, als theils aus einer natuͤrlichen Abneigung erklaͤren, Hand an sich selbst zu legen, wenn noch Mittel vorhanden sind, daß wir dies traurige Geschaͤft andern uͤberlassen koͤnnen; theils aus einer religioͤsen Furcht, daß man durch einen Selbstmord sich gleichsam den Himmel selbst verriegeln wuͤrde, und daß man durch die Ermordung eines andern immer noch Zeit bekaͤme, an seiner Seligkeit zu arbeiten, was aus dem leztern Beispiel sichtbar erhellet. Ausserdem hat der Gedanke: sich selbst zu ermorden, bei aller seiner Entsezlichkeit, fuͤr den Ungluͤklichen, besonders hypochondrisch Ungluͤklichen etwas Einladendes an sich; — der Leidende erhebt sich dadurch in seinen Gedanken uͤber alles weg, was ihn einschraͤnken, was seine koͤrperlichen Leiden vermehren kann. Jhm hat kein Mensch etwas mehr zu gebieten, er kann der ganzen Welt trotzen, wenn er nicht mehr von der Todesfurcht gemartert wird. Alle Jntriguen und Bosheiten der Menschen gegen sein Gluͤk kommen ihm wie erbaͤrmliche Spielwerke vor; — er darf nur einen Augenblik den Willen haben — seinem Leben ein Ende zu machen, und er ist ewig von allen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/40
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/40>, abgerufen am 23.11.2024.