Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.
Jm 3ten Stück des 4ten Bandes hat uns in Absicht der Seelenkrankheitskunde vornehmlich das merkwürdig geschienen, was von dem ohnlängst verstorbenen Lauterbach in Wolfenbüttel erzählt wird. Dieser Mann, welcher sich in seiner Jugend auf die Theologie und Orientalischen Sprachen gelegt hatte, übrigens ein einsichtsvoller, verständiger Mann war, gehörte zu der Classe wahnsinniger Leute, welche an einer gewissen einzelnen Haupt-Jdee krank liegen, die bei ihm darinn bestand, daß von der Beschaffenheit der Steine die Begebenheiten in der Welt abhingen. Der eine verkündigte nach seiner Meinung Pest, der andere Krieg, der dritte Feuersbrunst, und so alle Unordnungen und Unglüksfälle, die nur immer in der Welt vorkommen. Er sonderte daher alle solche bedeutende Steine sorgfältig von einander, und wenn er sie alle besäße; so würde von ihm das Schiksal der ganzen Welt abgehangen haben. Als vor einigen Jahren das große Erdbeben in Calabrien entstand, machte man ihm den Vorwurf: er wollte der Regierer der Welt seyn, und habe ein solches schrekliches Unglük nicht verhütet. Er entschuldigte sich kurz damit, daß er den Stein, wovon es abhänge, nicht habe habhaft werden können. Oft bemerkt man ihn auf der Straße
Jm 3ten Stuͤck des 4ten Bandes hat uns in Absicht der Seelenkrankheitskunde vornehmlich das merkwuͤrdig geschienen, was von dem ohnlaͤngst verstorbenen Lauterbach in Wolfenbuͤttel erzaͤhlt wird. Dieser Mann, welcher sich in seiner Jugend auf die Theologie und Orientalischen Sprachen gelegt hatte, uͤbrigens ein einsichtsvoller, verstaͤndiger Mann war, gehoͤrte zu der Classe wahnsinniger Leute, welche an einer gewissen einzelnen Haupt-Jdee krank liegen, die bei ihm darinn bestand, daß von der Beschaffenheit der Steine die Begebenheiten in der Welt abhingen. Der eine verkuͤndigte nach seiner Meinung Pest, der andere Krieg, der dritte Feuersbrunst, und so alle Unordnungen und Ungluͤksfaͤlle, die nur immer in der Welt vorkommen. Er sonderte daher alle solche bedeutende Steine sorgfaͤltig von einander, und wenn er sie alle besaͤße; so wuͤrde von ihm das Schiksal der ganzen Welt abgehangen haben. Als vor einigen Jahren das große Erdbeben in Calabrien entstand, machte man ihm den Vorwurf: er wollte der Regierer der Welt seyn, und habe ein solches schrekliches Ungluͤk nicht verhuͤtet. Er entschuldigte sich kurz damit, daß er den Stein, wovon es abhaͤnge, nicht habe habhaft werden koͤnnen. Oft bemerkt man ihn auf der Straße <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0013" n="13"/><lb/> Todten an den meisten Oertern auf die Diele gestellt.</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Jm 3ten Stuͤck des 4ten Bandes hat uns in Absicht der Seelenkrankheitskunde vornehmlich das merkwuͤrdig geschienen, was von dem ohnlaͤngst verstorbenen <hi rendition="#b">Lauterbach</hi> in Wolfenbuͤttel erzaͤhlt wird. Dieser Mann, welcher sich in seiner Jugend auf die Theologie und Orientalischen Sprachen gelegt hatte, uͤbrigens ein einsichtsvoller, verstaͤndiger Mann war, gehoͤrte zu der Classe wahnsinniger Leute, welche an einer gewissen einzelnen Haupt-Jdee krank liegen, die bei ihm darinn bestand, daß von der Beschaffenheit der Steine die Begebenheiten in der Welt abhingen. Der eine verkuͤndigte nach seiner Meinung Pest, der andere Krieg, der dritte Feuersbrunst, und so alle Unordnungen und Ungluͤksfaͤlle, die nur immer in der Welt vorkommen. Er sonderte daher alle solche bedeutende Steine sorgfaͤltig von einander, und wenn er sie alle besaͤße; so wuͤrde von ihm das Schiksal der ganzen Welt abgehangen haben. Als vor einigen Jahren das große Erdbeben in Calabrien entstand, machte man ihm den Vorwurf: er wollte der Regierer der Welt seyn, und habe ein solches schrekliches Ungluͤk nicht verhuͤtet. Er entschuldigte sich kurz damit, daß er den Stein, wovon es abhaͤnge, nicht habe habhaft werden koͤnnen. Oft bemerkt man ihn auf der Straße<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [13/0013]
Todten an den meisten Oertern auf die Diele gestellt.
Jm 3ten Stuͤck des 4ten Bandes hat uns in Absicht der Seelenkrankheitskunde vornehmlich das merkwuͤrdig geschienen, was von dem ohnlaͤngst verstorbenen Lauterbach in Wolfenbuͤttel erzaͤhlt wird. Dieser Mann, welcher sich in seiner Jugend auf die Theologie und Orientalischen Sprachen gelegt hatte, uͤbrigens ein einsichtsvoller, verstaͤndiger Mann war, gehoͤrte zu der Classe wahnsinniger Leute, welche an einer gewissen einzelnen Haupt-Jdee krank liegen, die bei ihm darinn bestand, daß von der Beschaffenheit der Steine die Begebenheiten in der Welt abhingen. Der eine verkuͤndigte nach seiner Meinung Pest, der andere Krieg, der dritte Feuersbrunst, und so alle Unordnungen und Ungluͤksfaͤlle, die nur immer in der Welt vorkommen. Er sonderte daher alle solche bedeutende Steine sorgfaͤltig von einander, und wenn er sie alle besaͤße; so wuͤrde von ihm das Schiksal der ganzen Welt abgehangen haben. Als vor einigen Jahren das große Erdbeben in Calabrien entstand, machte man ihm den Vorwurf: er wollte der Regierer der Welt seyn, und habe ein solches schrekliches Ungluͤk nicht verhuͤtet. Er entschuldigte sich kurz damit, daß er den Stein, wovon es abhaͤnge, nicht habe habhaft werden koͤnnen. Oft bemerkt man ihn auf der Straße
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/13 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/13>, abgerufen am 16.02.2025. |