Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.
Franz nöthigte den Alten wieder an den Tisch, sezte sich neben ihn, kostete die Speise, und erzählte uns abwechselnd mit ihm, so poßirliche Szenen aus seiner ehmaligen hiesigen Gefangenschaft, wie er es nannte, daß wir mitlachen mußten, und unsrer anfänglichen Furcht ganz vergassen. Aber sie wurde wieder rege, als er den Jnspector bat, sein ehmaliges Zimmer aufzuschliessen, welches er seinem Vater zeigen wollte. Der Alte fand nichts Arges darin, und war eben im Begriff, die Schlüssel zu holen; als ich Gelegenheit nahm, ihm heimlich zuzuflistern: Er sollte es ums Himmelswillen unterlassen, und irgend einen Vorwand ersinnen, warum er es nicht thun könnte. Dieß mußte Franz unglüklicherweise gemerkt haben. Denn da der Alte eben zu stottern anfieng: Es sey schon zu dunkel; er habe die Schlüssel verlegt; u.s.w. fuhr Franz auf: "Daß mir doch der böse Doktor noch immer nicht trauen will! Aber Sie sollen uns die Lust doch nicht verderben. -- Laß sehen! -- Jch kenne die Schlüssel wie meine eignen." -- Er suchte in der Stube herum. "Da sind sie ja! Komm voran
Franz noͤthigte den Alten wieder an den Tisch, sezte sich neben ihn, kostete die Speise, und erzaͤhlte uns abwechselnd mit ihm, so poßirliche Szenen aus seiner ehmaligen hiesigen Gefangenschaft, wie er es nannte, daß wir mitlachen mußten, und unsrer anfaͤnglichen Furcht ganz vergassen. Aber sie wurde wieder rege, als er den Jnspector bat, sein ehmaliges Zimmer aufzuschliessen, welches er seinem Vater zeigen wollte. Der Alte fand nichts Arges darin, und war eben im Begriff, die Schluͤssel zu holen; als ich Gelegenheit nahm, ihm heimlich zuzuflistern: Er sollte es ums Himmelswillen unterlassen, und irgend einen Vorwand ersinnen, warum er es nicht thun koͤnnte. Dieß mußte Franz ungluͤklicherweise gemerkt haben. Denn da der Alte eben zu stottern anfieng: Es sey schon zu dunkel; er habe die Schluͤssel verlegt; u.s.w. fuhr Franz auf: »Daß mir doch der boͤse Doktor noch immer nicht trauen will! Aber Sie sollen uns die Lust doch nicht verderben. — Laß sehen! — Jch kenne die Schluͤssel wie meine eignen.« — Er suchte in der Stube herum. »Da sind sie ja! Komm voran <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0120" n="120"/><lb/> ten. Doch da er mich dabey sah, und da Franz ihm mit der heitersten Laune, und mit scherzhaften Anspielungen auf ihren ehmaligen Umgang entgegenkam, meinte er, ich selbst haͤtt es fuͤr gut gefunden, ihm das Geheimniß zu entdeken.</p> <p>Franz noͤthigte den Alten wieder an den Tisch, sezte sich neben ihn, kostete die Speise, und erzaͤhlte uns abwechselnd mit ihm, so poßirliche Szenen aus seiner ehmaligen hiesigen Gefangenschaft, wie er es nannte, daß wir mitlachen mußten, und unsrer anfaͤnglichen Furcht ganz vergassen. Aber sie wurde wieder rege, als er den Jnspector bat, sein ehmaliges Zimmer aufzuschliessen, welches er seinem Vater zeigen wollte. Der Alte fand nichts Arges darin, und war eben im Begriff, die Schluͤssel zu holen; als ich Gelegenheit nahm, ihm heimlich zuzuflistern: Er sollte es ums Himmelswillen unterlassen, und irgend einen Vorwand ersinnen, warum er es nicht thun koͤnnte. Dieß mußte Franz ungluͤklicherweise gemerkt haben. Denn da der Alte eben zu stottern anfieng: Es sey schon zu <choice><corr>dunkel</corr><sic>duukel</sic></choice>; er habe die Schluͤssel verlegt; <choice><corr>u.s.w.</corr><sic>s.w.</sic></choice> fuhr Franz auf: »Daß mir doch der boͤse Doktor noch immer nicht trauen will! Aber <choice><corr>Sie</corr><sic>sie</sic></choice> sollen uns die Lust doch nicht verderben. — Laß sehen! — Jch kenne die Schluͤssel wie meine eignen.« — Er suchte in der Stube herum. »Da sind sie ja! Komm voran<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [120/0120]
ten. Doch da er mich dabey sah, und da Franz ihm mit der heitersten Laune, und mit scherzhaften Anspielungen auf ihren ehmaligen Umgang entgegenkam, meinte er, ich selbst haͤtt es fuͤr gut gefunden, ihm das Geheimniß zu entdeken.
Franz noͤthigte den Alten wieder an den Tisch, sezte sich neben ihn, kostete die Speise, und erzaͤhlte uns abwechselnd mit ihm, so poßirliche Szenen aus seiner ehmaligen hiesigen Gefangenschaft, wie er es nannte, daß wir mitlachen mußten, und unsrer anfaͤnglichen Furcht ganz vergassen. Aber sie wurde wieder rege, als er den Jnspector bat, sein ehmaliges Zimmer aufzuschliessen, welches er seinem Vater zeigen wollte. Der Alte fand nichts Arges darin, und war eben im Begriff, die Schluͤssel zu holen; als ich Gelegenheit nahm, ihm heimlich zuzuflistern: Er sollte es ums Himmelswillen unterlassen, und irgend einen Vorwand ersinnen, warum er es nicht thun koͤnnte. Dieß mußte Franz ungluͤklicherweise gemerkt haben. Denn da der Alte eben zu stottern anfieng: Es sey schon zu dunkel; er habe die Schluͤssel verlegt; u.s.w. fuhr Franz auf: »Daß mir doch der boͤse Doktor noch immer nicht trauen will! Aber Sie sollen uns die Lust doch nicht verderben. — Laß sehen! — Jch kenne die Schluͤssel wie meine eignen.« — Er suchte in der Stube herum. »Da sind sie ja! Komm voran
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/120>, abgerufen am 16.02.2025. |