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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.

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Geräusch um uns her still zu werden anfängt; so werden wir oft bemerken, daß unsere Seele allerley schwarze Bilder durchkreutzen. Wir wissen nicht woher sie kommen, und wohin sie wieder verschwinden, obs gleichwohl ausgemacht ist, daß sie abgerissene Zweige einer verstekten Jdeen association seyn müssen. Jst die Vorstellungskraft nun just sehr lebhaft gemacht worden, was nach einem Glase Wein sehr wohl geschehen kann, kommt die Dunkelheit der Nacht hinzu, so scheint es mir sehr natürlich, daß ein Vater sein Kind im Sarge vor sich liegen sehen kann, ohne einmal hinzu zu nehmen, daß vielleicht einige Zeit vorher, vielleicht in der fröhlichen Gesellschaft selbst, von einem todten Kinde gesprochen worden ist, daß man einer ähnlichen Vision erwähnt, oder daß vielleicht eine Veränderung in Sehnerven ein dergleichen unangenehmes Bild hervorgebracht hat. Es kommen bei solchen Visionen gemeiniglich so viel Umstände zusammen, die sie zweifelhaft machen, daß man oft nur wenig Prüfungsgeist haben muß, um die Sache von ihrer täuschenden Seite kennen zu lernen, wozu aber die getäuscht worden, selten geschikt sind, weil sie im Augenblik der Ueberraschung nicht über sich selbst und die mitwürkenden Nebenumstände nachdenken können, und die Lebhaftigkeit des imaginirten Bildes auch hinterher als geglaubte würkliche Erfahrung ihnen alles Raisonnement über die Sache ekelhaft macht. Daß das Kind einige Zeit nachher würk-


Geraͤusch um uns her still zu werden anfaͤngt; so werden wir oft bemerken, daß unsere Seele allerley schwarze Bilder durchkreutzen. Wir wissen nicht woher sie kommen, und wohin sie wieder verschwinden, obs gleichwohl ausgemacht ist, daß sie abgerissene Zweige einer verstekten Jdeen association seyn muͤssen. Jst die Vorstellungskraft nun just sehr lebhaft gemacht worden, was nach einem Glase Wein sehr wohl geschehen kann, kommt die Dunkelheit der Nacht hinzu, so scheint es mir sehr natuͤrlich, daß ein Vater sein Kind im Sarge vor sich liegen sehen kann, ohne einmal hinzu zu nehmen, daß vielleicht einige Zeit vorher, vielleicht in der froͤhlichen Gesellschaft selbst, von einem todten Kinde gesprochen worden ist, daß man einer aͤhnlichen Vision erwaͤhnt, oder daß vielleicht eine Veraͤnderung in Sehnerven ein dergleichen unangenehmes Bild hervorgebracht hat. Es kommen bei solchen Visionen gemeiniglich so viel Umstaͤnde zusammen, die sie zweifelhaft machen, daß man oft nur wenig Pruͤfungsgeist haben muß, um die Sache von ihrer taͤuschenden Seite kennen zu lernen, wozu aber die getaͤuscht worden, selten geschikt sind, weil sie im Augenblik der Ueberraschung nicht uͤber sich selbst und die mitwuͤrkenden Nebenumstaͤnde nachdenken koͤnnen, und die Lebhaftigkeit des imaginirten Bildes auch hinterher als geglaubte wuͤrkliche Erfahrung ihnen alles Raisonnement uͤber die Sache ekelhaft macht. Daß das Kind einige Zeit nachher wuͤrk-

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[11/0011] Geraͤusch um uns her still zu werden anfaͤngt; so werden wir oft bemerken, daß unsere Seele allerley schwarze Bilder durchkreutzen. Wir wissen nicht woher sie kommen, und wohin sie wieder verschwinden, obs gleichwohl ausgemacht ist, daß sie abgerissene Zweige einer verstekten Jdeen association seyn muͤssen. Jst die Vorstellungskraft nun just sehr lebhaft gemacht worden, was nach einem Glase Wein sehr wohl geschehen kann, kommt die Dunkelheit der Nacht hinzu, so scheint es mir sehr natuͤrlich, daß ein Vater sein Kind im Sarge vor sich liegen sehen kann, ohne einmal hinzu zu nehmen, daß vielleicht einige Zeit vorher, vielleicht in der froͤhlichen Gesellschaft selbst, von einem todten Kinde gesprochen worden ist, daß man einer aͤhnlichen Vision erwaͤhnt, oder daß vielleicht eine Veraͤnderung in Sehnerven ein dergleichen unangenehmes Bild hervorgebracht hat. Es kommen bei solchen Visionen gemeiniglich so viel Umstaͤnde zusammen, die sie zweifelhaft machen, daß man oft nur wenig Pruͤfungsgeist haben muß, um die Sache von ihrer taͤuschenden Seite kennen zu lernen, wozu aber die getaͤuscht worden, selten geschikt sind, weil sie im Augenblik der Ueberraschung nicht uͤber sich selbst und die mitwuͤrkenden Nebenumstaͤnde nachdenken koͤnnen, und die Lebhaftigkeit des imaginirten Bildes auch hinterher als geglaubte wuͤrkliche Erfahrung ihnen alles Raisonnement uͤber die Sache ekelhaft macht. Daß das Kind einige Zeit nachher wuͤrk-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/11>, abgerufen am 25.11.2024.