Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788.Damas. Nun, was sind denn das für Jdeen vom künftigen Zustande, die Jhnen so wahrscheinlich dünken? Theokles. Das will ich Jhnen sagen; es ist nur eine einzige. Es scheint mir nämlich eine unumstößliche Wahrheit zu seyn, daß der Zustand des Menschen nach dem Tode, wenn einmal einer angenommen wird, mit dem, worin der Mensch im Leben war, eine gewisse allgemeine Aehnlichkeit haben werde. Entweder wir müssen eine völlige Umwandlung unsers ganzen Wesens nach dem Tode statt finden lassen; oder, wenn es das bleibt, was es ist, so muß auch Fortgang derselben Kraftäußerungen seyn, die wir hier an ihm beobachten. Das erste kann man nicht behaupten; es hiesse von der Gottheit voraussetzen, sie habe nicht die leichtesten und einfachsten Mittel zur Erreichung ihrer Absicht mit uns gewählt, oder sie habe bei der Schöpfung unweise gehandelt. Denn ich kann doch schlechterdings keinen Zweck ergründen, warum uns das höchste Wesen beim Anbeginne der Schöpfung grade so werden ließ, wie wir gegenwärtig sind, um, nach Vollendung der irdischen Laufbahn, unsre Substanz in ihrem Wesen zu vernichten, und in eine neue mit einem andern Wesen umzuschaffen, die erst für den Genuß des künftigen Zustandes empfänglich wäre; statt daß es Damas. Nun, was sind denn das fuͤr Jdeen vom kuͤnftigen Zustande, die Jhnen so wahrscheinlich duͤnken? Theokles. Das will ich Jhnen sagen; es ist nur eine einzige. Es scheint mir naͤmlich eine unumstoͤßliche Wahrheit zu seyn, daß der Zustand des Menschen nach dem Tode, wenn einmal einer angenommen wird, mit dem, worin der Mensch im Leben war, eine gewisse allgemeine Aehnlichkeit haben werde. Entweder wir muͤssen eine voͤllige Umwandlung unsers ganzen Wesens nach dem Tode statt finden lassen; oder, wenn es das bleibt, was es ist, so muß auch Fortgang derselben Kraftaͤußerungen seyn, die wir hier an ihm beobachten. Das erste kann man nicht behaupten; es hiesse von der Gottheit voraussetzen, sie habe nicht die leichtesten und einfachsten Mittel zur Erreichung ihrer Absicht mit uns gewaͤhlt, oder sie habe bei der Schoͤpfung unweise gehandelt. Denn ich kann doch schlechterdings keinen Zweck ergruͤnden, warum uns das hoͤchste Wesen beim Anbeginne der Schoͤpfung grade so werden ließ, wie wir gegenwaͤrtig sind, um, nach Vollendung der irdischen Laufbahn, unsre Substanz in ihrem Wesen zu vernichten, und in eine neue mit einem andern Wesen umzuschaffen, die erst fuͤr den Genuß des kuͤnftigen Zustandes empfaͤnglich waͤre; statt daß es <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb n="29" facs="#f0029"/><lb/> <p rend="center"> <hi rendition="#b">Damas.</hi> </p> <p>Nun, was sind denn das fuͤr Jdeen vom kuͤnftigen Zustande, die Jhnen so wahrscheinlich duͤnken?</p> <p rend="center"> <hi rendition="#b">Theokles.</hi> </p> <p>Das will ich Jhnen sagen; es ist nur eine einzige. Es scheint mir naͤmlich eine unumstoͤßliche Wahrheit zu seyn, daß der Zustand des Menschen nach dem Tode, wenn einmal einer angenommen wird, mit dem, worin der Mensch im Leben war, eine gewisse allgemeine Aehnlichkeit haben werde. Entweder wir muͤssen eine voͤllige Umwandlung unsers ganzen Wesens nach dem Tode statt finden lassen; oder, wenn es das bleibt, was es ist, so muß auch Fortgang derselben Kraftaͤußerungen seyn, die wir hier an ihm beobachten. Das erste kann man nicht behaupten; es hiesse von der Gottheit voraussetzen, sie habe nicht die leichtesten und einfachsten Mittel zur Erreichung ihrer Absicht mit uns gewaͤhlt, oder sie habe bei der Schoͤpfung unweise gehandelt. Denn ich kann doch schlechterdings keinen Zweck ergruͤnden, warum uns das hoͤchste Wesen beim Anbeginne der Schoͤpfung grade so werden ließ, wie wir gegenwaͤrtig sind, um, nach Vollendung der irdischen Laufbahn, unsre Substanz in ihrem Wesen zu vernichten, und in eine neue mit einem andern Wesen umzuschaffen, die erst fuͤr den Genuß des kuͤnftigen Zustandes empfaͤnglich waͤre; statt daß es<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [29/0029]
Damas.
Nun, was sind denn das fuͤr Jdeen vom kuͤnftigen Zustande, die Jhnen so wahrscheinlich duͤnken?
Theokles.
Das will ich Jhnen sagen; es ist nur eine einzige. Es scheint mir naͤmlich eine unumstoͤßliche Wahrheit zu seyn, daß der Zustand des Menschen nach dem Tode, wenn einmal einer angenommen wird, mit dem, worin der Mensch im Leben war, eine gewisse allgemeine Aehnlichkeit haben werde. Entweder wir muͤssen eine voͤllige Umwandlung unsers ganzen Wesens nach dem Tode statt finden lassen; oder, wenn es das bleibt, was es ist, so muß auch Fortgang derselben Kraftaͤußerungen seyn, die wir hier an ihm beobachten. Das erste kann man nicht behaupten; es hiesse von der Gottheit voraussetzen, sie habe nicht die leichtesten und einfachsten Mittel zur Erreichung ihrer Absicht mit uns gewaͤhlt, oder sie habe bei der Schoͤpfung unweise gehandelt. Denn ich kann doch schlechterdings keinen Zweck ergruͤnden, warum uns das hoͤchste Wesen beim Anbeginne der Schoͤpfung grade so werden ließ, wie wir gegenwaͤrtig sind, um, nach Vollendung der irdischen Laufbahn, unsre Substanz in ihrem Wesen zu vernichten, und in eine neue mit einem andern Wesen umzuschaffen, die erst fuͤr den Genuß des kuͤnftigen Zustandes empfaͤnglich waͤre; statt daß es
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788/29 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788/29>, abgerufen am 02.03.2025. |