Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788.Damas. Nichts, gar nichts. Meine Phantasie schuf mir natürlicherweise manche Träume, aber meine Vernunft wußte sie zu würdigen. Das Resultat war, daß ich die Richtigkeit jener Lebensregel: Geniesse, soviel du kannst, und leide, soviel du mußt, mehr als jemals fühlte. Theokles. Was zählen Sie denn alles zu den Träumen der Phantasie? Nennen Sie alles so, was der Mensch, ohne die Lehren der Religion zu Hülfe zu nehmen, von dem Zustande nach dem Tode sich denkt und sich denken kann? Damas. Nicht anders. Denn alle die Jdeen, welche wir uns von der Art der Existenz, und von den Freuden und Leiden machen, die uns nach dem Tode bevorstehn, sind aus Materialien zusammengesetzt, die wir hier im Leben einsammeln. Unsre Hoffnungen gründen sich allein auf unsre Erfahrungen; jene können sich also auch nur in dem Lande ihre Erfüllung mit Wahrscheinlichkeit versprechen, wo diese statt finden. Betrachten Sie selbst nur einmal die mannichfaltigen Vorstellungen, die jeder, in gesunden Tagen, sich von dem Seyn nach dem Tode macht. Wie ähnlich sind diese oft den sonderbarsten Damas. Nichts, gar nichts. Meine Phantasie schuf mir natuͤrlicherweise manche Traͤume, aber meine Vernunft wußte sie zu wuͤrdigen. Das Resultat war, daß ich die Richtigkeit jener Lebensregel: Geniesse, soviel du kannst, und leide, soviel du mußt, mehr als jemals fuͤhlte. Theokles. Was zaͤhlen Sie denn alles zu den Traͤumen der Phantasie? Nennen Sie alles so, was der Mensch, ohne die Lehren der Religion zu Huͤlfe zu nehmen, von dem Zustande nach dem Tode sich denkt und sich denken kann? Damas. Nicht anders. Denn alle die Jdeen, welche wir uns von der Art der Existenz, und von den Freuden und Leiden machen, die uns nach dem Tode bevorstehn, sind aus Materialien zusammengesetzt, die wir hier im Leben einsammeln. Unsre Hoffnungen gruͤnden sich allein auf unsre Erfahrungen; jene koͤnnen sich also auch nur in dem Lande ihre Erfuͤllung mit Wahrscheinlichkeit versprechen, wo diese statt finden. Betrachten Sie selbst nur einmal die mannichfaltigen Vorstellungen, die jeder, in gesunden Tagen, sich von dem Seyn nach dem Tode macht. Wie aͤhnlich sind diese oft den sonderbarsten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0027" n="27"/><lb/> <p rend="center"> <hi rendition="#b">Damas.</hi> </p> <p>Nichts, gar nichts. Meine Phantasie schuf mir natuͤrlicherweise manche Traͤume, aber meine Vernunft wußte sie zu wuͤrdigen. Das Resultat war, daß ich die Richtigkeit jener Lebensregel: Geniesse, soviel du kannst, und leide, soviel du mußt, mehr als jemals fuͤhlte.</p> <p rend="center"> <hi rendition="#b">Theokles.</hi> </p> <p>Was zaͤhlen Sie denn alles zu den Traͤumen der Phantasie? Nennen Sie alles so, was der Mensch, ohne die Lehren der Religion zu Huͤlfe zu nehmen, von dem Zustande nach dem Tode sich denkt und sich denken kann?</p> <p rend="center"> <hi rendition="#b">Damas.</hi> </p> <p>Nicht anders. Denn alle die Jdeen, welche wir uns von der Art der Existenz, und von den Freuden und Leiden machen, die uns nach dem Tode bevorstehn, sind aus Materialien zusammengesetzt, die wir hier im Leben einsammeln. Unsre Hoffnungen gruͤnden sich allein auf unsre Erfahrungen; jene koͤnnen sich also auch nur in dem Lande ihre Erfuͤllung mit Wahrscheinlichkeit versprechen, wo diese statt finden. Betrachten Sie selbst nur einmal die mannichfaltigen Vorstellungen, die jeder, in gesunden Tagen, sich von dem Seyn nach dem Tode macht. Wie aͤhnlich sind diese oft den sonderbarsten<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [27/0027]
Damas.
Nichts, gar nichts. Meine Phantasie schuf mir natuͤrlicherweise manche Traͤume, aber meine Vernunft wußte sie zu wuͤrdigen. Das Resultat war, daß ich die Richtigkeit jener Lebensregel: Geniesse, soviel du kannst, und leide, soviel du mußt, mehr als jemals fuͤhlte.
Theokles.
Was zaͤhlen Sie denn alles zu den Traͤumen der Phantasie? Nennen Sie alles so, was der Mensch, ohne die Lehren der Religion zu Huͤlfe zu nehmen, von dem Zustande nach dem Tode sich denkt und sich denken kann?
Damas.
Nicht anders. Denn alle die Jdeen, welche wir uns von der Art der Existenz, und von den Freuden und Leiden machen, die uns nach dem Tode bevorstehn, sind aus Materialien zusammengesetzt, die wir hier im Leben einsammeln. Unsre Hoffnungen gruͤnden sich allein auf unsre Erfahrungen; jene koͤnnen sich also auch nur in dem Lande ihre Erfuͤllung mit Wahrscheinlichkeit versprechen, wo diese statt finden. Betrachten Sie selbst nur einmal die mannichfaltigen Vorstellungen, die jeder, in gesunden Tagen, sich von dem Seyn nach dem Tode macht. Wie aͤhnlich sind diese oft den sonderbarsten
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788/27 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788/27>, abgerufen am 16.02.2025. |