Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite


von befallen ward: so wurde ich, in einem Alter von vierzehn in's funfzehnte Jahr, mit noch zweien von meinen Geschwistern zu dem Prediger im Dorfe geschickt, um da so lange zu bleiben, bis auf dem Hofe alles wieder gesund seyn würde. Mein Bruder, der mich insonderheit innigst liebte, starb an dieser Krankheit, uns ward aber sein Tod verheimlicht, und ich erfuhr auch in der That nichts davon. Sieben Tage nach seinem Absterben, als an welchem Tage er des Abends beigesetzt wurde, kam, um etwa drei Uhr Nachmittags, mein Vater nach dem Hause des Predigers, um uns zu besuchen. Unsre erste Frage war nach unserm geliebten Bruder. Der Vater versicherte uns, daß er sich recht wohl befände, und wir ihn gewiß wieder sehn würden; eben dies versicherte uns auch gleich nachher unser Gärtner, in den ich viel Zutrauen setzte, mit den höchsten Betheurungen. Was man wünscht, glaubt man leicht und gerne, und dies war auch mit mir der Fall, ohne daß ich nur den Argwohn gehabt hätte, daß man dies von seinem Zustande in der Ewigkeit verstehe, in dem wir ihn einst wieder sehn würden. Mein Vater verließ uns bald nachher, und mit einem Herzen voll Freude und Ueberzeugung, daß mein Bruder wieder besser wäre, lief ich, um die Kinder des Predigers aufzusuchen, und ihnen diese angenehme Nachricht zu erzählen. Mit diesem Frohsinn trat ich auch in das Zimmer, worin ich mit meinen Geschwistern logirte, an wel-


von befallen ward: so wurde ich, in einem Alter von vierzehn in's funfzehnte Jahr, mit noch zweien von meinen Geschwistern zu dem Prediger im Dorfe geschickt, um da so lange zu bleiben, bis auf dem Hofe alles wieder gesund seyn wuͤrde. Mein Bruder, der mich insonderheit innigst liebte, starb an dieser Krankheit, uns ward aber sein Tod verheimlicht, und ich erfuhr auch in der That nichts davon. Sieben Tage nach seinem Absterben, als an welchem Tage er des Abends beigesetzt wurde, kam, um etwa drei Uhr Nachmittags, mein Vater nach dem Hause des Predigers, um uns zu besuchen. Unsre erste Frage war nach unserm geliebten Bruder. Der Vater versicherte uns, daß er sich recht wohl befaͤnde, und wir ihn gewiß wieder sehn wuͤrden; eben dies versicherte uns auch gleich nachher unser Gaͤrtner, in den ich viel Zutrauen setzte, mit den hoͤchsten Betheurungen. Was man wuͤnscht, glaubt man leicht und gerne, und dies war auch mit mir der Fall, ohne daß ich nur den Argwohn gehabt haͤtte, daß man dies von seinem Zustande in der Ewigkeit verstehe, in dem wir ihn einst wieder sehn wuͤrden. Mein Vater verließ uns bald nachher, und mit einem Herzen voll Freude und Ueberzeugung, daß mein Bruder wieder besser waͤre, lief ich, um die Kinder des Predigers aufzusuchen, und ihnen diese angenehme Nachricht zu erzaͤhlen. Mit diesem Frohsinn trat ich auch in das Zimmer, worin ich mit meinen Geschwistern logirte, an wel-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0090" n="88"/><lb/>
von befallen ward: so wurde ich, in einem Alter von vierzehn                   in's funfzehnte Jahr, mit noch zweien von meinen Geschwistern zu dem Prediger im                   Dorfe geschickt, um da so lange zu bleiben, bis auf dem Hofe alles wieder gesund                   seyn wu&#x0364;rde. Mein Bruder, der mich insonderheit innigst liebte, starb an dieser                   Krankheit, uns ward aber sein Tod verheimlicht, und ich erfuhr auch in der That                   nichts davon. Sieben Tage nach seinem Absterben, als an welchem Tage er des Abends                   beigesetzt wurde, kam, um etwa drei Uhr Nachmittags, mein Vater nach dem Hause des                   Predigers, um uns zu besuchen. Unsre erste Frage war nach unserm geliebten Bruder.                   Der Vater versicherte uns, daß er sich recht wohl befa&#x0364;nde, und wir ihn gewiß                   wieder sehn wu&#x0364;rden; eben dies versicherte uns auch gleich nachher unser Ga&#x0364;rtner,                   in den ich viel Zutrauen setzte, mit den ho&#x0364;chsten Betheurungen. Was man wu&#x0364;nscht,                   glaubt man leicht und gerne, und dies war auch mit mir der Fall, ohne daß ich nur                   den Argwohn gehabt ha&#x0364;tte, daß man dies von seinem Zustande in der Ewigkeit                   verstehe, in dem wir ihn einst wieder sehn wu&#x0364;rden. Mein Vater verließ uns bald                   nachher, und mit einem Herzen voll Freude und Ueberzeugung, daß mein Bruder wieder                   besser wa&#x0364;re, lief ich, um die Kinder des Predigers aufzusuchen, und ihnen diese                   angenehme Nachricht zu erza&#x0364;hlen. Mit diesem Frohsinn trat ich auch in das Zimmer,                   worin ich mit meinen Geschwistern logirte, an wel-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0090] von befallen ward: so wurde ich, in einem Alter von vierzehn in's funfzehnte Jahr, mit noch zweien von meinen Geschwistern zu dem Prediger im Dorfe geschickt, um da so lange zu bleiben, bis auf dem Hofe alles wieder gesund seyn wuͤrde. Mein Bruder, der mich insonderheit innigst liebte, starb an dieser Krankheit, uns ward aber sein Tod verheimlicht, und ich erfuhr auch in der That nichts davon. Sieben Tage nach seinem Absterben, als an welchem Tage er des Abends beigesetzt wurde, kam, um etwa drei Uhr Nachmittags, mein Vater nach dem Hause des Predigers, um uns zu besuchen. Unsre erste Frage war nach unserm geliebten Bruder. Der Vater versicherte uns, daß er sich recht wohl befaͤnde, und wir ihn gewiß wieder sehn wuͤrden; eben dies versicherte uns auch gleich nachher unser Gaͤrtner, in den ich viel Zutrauen setzte, mit den hoͤchsten Betheurungen. Was man wuͤnscht, glaubt man leicht und gerne, und dies war auch mit mir der Fall, ohne daß ich nur den Argwohn gehabt haͤtte, daß man dies von seinem Zustande in der Ewigkeit verstehe, in dem wir ihn einst wieder sehn wuͤrden. Mein Vater verließ uns bald nachher, und mit einem Herzen voll Freude und Ueberzeugung, daß mein Bruder wieder besser waͤre, lief ich, um die Kinder des Predigers aufzusuchen, und ihnen diese angenehme Nachricht zu erzaͤhlen. Mit diesem Frohsinn trat ich auch in das Zimmer, worin ich mit meinen Geschwistern logirte, an wel-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/90
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/90>, abgerufen am 22.11.2024.