Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.Jch habe Jhnen diesmal nur diese vier sonderbaren Zufälle mittheilen wollen, weil sie mir das Daseyn einer in uns liegenden Ahndungskraft deutlich zu zeigen scheinen. Sie werden freilich fragen: ob die erzählten Facta auch pünktlich wahr sind, ob nichts hinzugesezt, hinzugedichtet sey, wie es bei sehr vielen Ahndungen der Fall ist, und wie Sie auch in Jhren Regeln, wonach man jede sogenannte Ahndung prüfen müsse, richtig bemerkt haben. Jch wiederhole Jhnen noch einmal, daß sie von meinem seligen Vater auf's genaueste untersucht und aufgeschrieben worden sind: also als Facta sind sie gewiß. - Aber nun werden Sie mir noch nicht zugestehen, daß jene erzählten Vorgefühle wirkliche Ahndungen gewesen sind, und von dieser Seite würde ich Jhre Einwürfe am meisten fürchten. Es geschieht unendlich oft, werden Sie sagen, daß uns ein gewisses ängstliches Gefühl überrascht, das wir uns leicht erklären könnten, wenn wir die innere Stimmung unsrer körperlichen Maschine immer genau untersuchen könnten, daß wir uns etwas Künftiges erträumen, einbilden, und daß wir hinterher eine Ahndung gehabt zu haben glauben, wenn eine solche Einbildung einmal in Erfüllung ging. Oder Sie werden sich durch den Zufall das Ding zu erklären suchen, und kein Mensch wird Sie hiebei ganz widerlegen können, weil es eine unendlich verschiedene Concurrenz so vieler Dinge täglich giebt, und eins auf das andre folgt, ohne daß eins aus dem Jch habe Jhnen diesmal nur diese vier sonderbaren Zufaͤlle mittheilen wollen, weil sie mir das Daseyn einer in uns liegenden Ahndungskraft deutlich zu zeigen scheinen. Sie werden freilich fragen: ob die erzaͤhlten Facta auch puͤnktlich wahr sind, ob nichts hinzugesezt, hinzugedichtet sey, wie es bei sehr vielen Ahndungen der Fall ist, und wie Sie auch in Jhren Regeln, wonach man jede sogenannte Ahndung pruͤfen muͤsse, richtig bemerkt haben. Jch wiederhole Jhnen noch einmal, daß sie von meinem seligen Vater auf's genaueste untersucht und aufgeschrieben worden sind: also als Facta sind sie gewiß. – Aber nun werden Sie mir noch nicht zugestehen, daß jene erzaͤhlten Vorgefuͤhle wirkliche Ahndungen gewesen sind, und von dieser Seite wuͤrde ich Jhre Einwuͤrfe am meisten fuͤrchten. Es geschieht unendlich oft, werden Sie sagen, daß uns ein gewisses aͤngstliches Gefuͤhl uͤberrascht, das wir uns leicht erklaͤren koͤnnten, wenn wir die innere Stimmung unsrer koͤrperlichen Maschine immer genau untersuchen koͤnnten, daß wir uns etwas Kuͤnftiges ertraͤumen, einbilden, und daß wir hinterher eine Ahndung gehabt zu haben glauben, wenn eine solche Einbildung einmal in Erfuͤllung ging. Oder Sie werden sich durch den Zufall das Ding zu erklaͤren suchen, und kein Mensch wird Sie hiebei ganz widerlegen koͤnnen, weil es eine unendlich verschiedene Concurrenz so vieler Dinge taͤglich giebt, und eins auf das andre folgt, ohne daß eins aus dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0078" n="76"/><lb/> <p>Jch habe Jhnen diesmal nur diese vier sonderbaren Zufaͤlle mittheilen wollen, weil sie mir das Daseyn einer in uns liegenden Ahndungskraft deutlich zu zeigen scheinen. Sie werden freilich fragen: ob die erzaͤhlten <hi rendition="#aq">Facta</hi> auch puͤnktlich wahr sind, ob nichts hinzugesezt, hinzugedichtet sey, wie es bei sehr vielen Ahndungen der Fall ist, und wie <choice><corr>Sie</corr><sic>sie</sic></choice> auch in Jhren Regeln, wonach man jede sogenannte Ahndung pruͤfen muͤsse, richtig bemerkt haben. Jch wiederhole Jhnen noch einmal, daß sie von meinem seligen Vater auf's genaueste untersucht und aufgeschrieben worden sind: also als <hi rendition="#aq">Facta</hi> sind sie gewiß. – Aber nun werden Sie mir noch nicht zugestehen, daß jene erzaͤhlten Vorgefuͤhle wirkliche Ahndungen gewesen sind, und von dieser Seite wuͤrde ich Jhre Einwuͤrfe am meisten fuͤrchten. Es geschieht unendlich oft, werden Sie sagen, daß uns ein gewisses aͤngstliches Gefuͤhl uͤberrascht, das wir uns leicht erklaͤren koͤnnten, wenn wir die innere Stimmung unsrer koͤrperlichen Maschine immer genau untersuchen koͤnnten, daß wir uns etwas Kuͤnftiges ertraͤumen, einbilden, und daß wir hinterher eine Ahndung gehabt zu haben glauben, wenn eine solche Einbildung einmal in Erfuͤllung ging. Oder Sie werden sich durch den <hi rendition="#b">Zufall</hi> das Ding zu erklaͤren suchen, und kein Mensch wird Sie hiebei ganz widerlegen koͤnnen, weil es eine unendlich verschiedene Concurrenz so vieler Dinge taͤglich giebt, und eins auf das andre folgt, ohne daß eins aus dem<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [76/0078]
Jch habe Jhnen diesmal nur diese vier sonderbaren Zufaͤlle mittheilen wollen, weil sie mir das Daseyn einer in uns liegenden Ahndungskraft deutlich zu zeigen scheinen. Sie werden freilich fragen: ob die erzaͤhlten Facta auch puͤnktlich wahr sind, ob nichts hinzugesezt, hinzugedichtet sey, wie es bei sehr vielen Ahndungen der Fall ist, und wie Sie auch in Jhren Regeln, wonach man jede sogenannte Ahndung pruͤfen muͤsse, richtig bemerkt haben. Jch wiederhole Jhnen noch einmal, daß sie von meinem seligen Vater auf's genaueste untersucht und aufgeschrieben worden sind: also als Facta sind sie gewiß. – Aber nun werden Sie mir noch nicht zugestehen, daß jene erzaͤhlten Vorgefuͤhle wirkliche Ahndungen gewesen sind, und von dieser Seite wuͤrde ich Jhre Einwuͤrfe am meisten fuͤrchten. Es geschieht unendlich oft, werden Sie sagen, daß uns ein gewisses aͤngstliches Gefuͤhl uͤberrascht, das wir uns leicht erklaͤren koͤnnten, wenn wir die innere Stimmung unsrer koͤrperlichen Maschine immer genau untersuchen koͤnnten, daß wir uns etwas Kuͤnftiges ertraͤumen, einbilden, und daß wir hinterher eine Ahndung gehabt zu haben glauben, wenn eine solche Einbildung einmal in Erfuͤllung ging. Oder Sie werden sich durch den Zufall das Ding zu erklaͤren suchen, und kein Mensch wird Sie hiebei ganz widerlegen koͤnnen, weil es eine unendlich verschiedene Concurrenz so vieler Dinge taͤglich giebt, und eins auf das andre folgt, ohne daß eins aus dem
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/78>, abgerufen am 16.02.2025. |